Taliban auf dem Vormarsch Pro Asyl fordert Afghanistan-Luftbrücke für ehemalige deutsche Ortskräfte
Berlin/Kabul · In Afghanistan zerstören die radikal-islamischen Taliban in Windeseile, was die internationale Gemeinschaft in zwei Jahrzehnten aufgebaut hat. In akuter Gefahr sind viele Afghanen, die für die Bundeswehr arbeiteten. Menschenrechtler erinnern Kanzlerin Merkel jetzt an ein kürzlich gegebenes Versprechen.
Angesichts des Taliban-Vormarsches in Afghanistan fordert die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl die Bundesregierung auf, bedrohte ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr mit einer Luftbrücke zu retten. „Es gibt mindestens 1000 Ortskräfte, die noch in Afghanistan festsitzen. Die Bundesregierung muss ganz schnell mehrere Chartermaschinen hinschicken“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt unserer Redaktion.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor zwei Wochen angekündigt, notfalls mit Chartermaschinen frühere afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und Entwicklungshilfe wie Dolmetscher und Fahrer auszufliegen. Seitdem hat die Regierung zu diesem Vorhaben offiziell nichts mehr verlauten lassen. „Die Kanzlerin muss Wort halten. Wir brauchen eine Luftbrücke, um diese Menschen außer Landes und in Sicherheit zu bringen“, sagte Burkhardt unter Verweis auf die USA. Washington holte aus Sorge vor Racheakten der Taliban etliche Ex-Ortskräfte der US-Streitkräfte in die Vereinigten Staaten. Die Aktion war von US-Präsident Joe Biden sowie von Demokraten und Republikanern im Kongress parteiübergreifend unterstützt worden.
Nach Angaben der Bundesregierung sind bislang rund 1700 ehemalige Ortskräfte und deren Familien nach Deutschland gekommen. Die Zahl der ausgestellten Einreisevisa für Berechtigte wurde zuletzt mit 2400 angegeben. Außen vor bleiben etliche Afghanen, die für externe Dienstleister der Deutschen gearbeitet hatten.
Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen bringen die Taliban nach und nach immer mehr Gebiete in Afghanistan unter ihre Kontrolle. Am Wochenende nahmen sie mindestens drei Provinzhauptstädte im Norden ein, darunter Kundus, in dessen Nähe jahrelang Bundeswehr-Soldaten stationiert waren.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zeigte sich bestürzt. Die Meldungen aus Kundus und aus ganz Afghanistan „sind bitter und tun sehr weh“, erklärte sie am in Berlin. „Wir haben dort gemeinsam mit den Verbündeten gekämpft, Bundeswehrsoldaten sind in Afghanistan gestorben.“
Forderungen des CDU-Außenpolitikers Norbert Röttgen (CDU) nach einem neuen Kampfeinsatz machte sie sich nicht zu eigen. „Wer die Taliban dauerhaft besiegen will, müsste einen sehr harten und langen Kampfeinsatz führen.“ Kramp-Karrenbauer warf die Frage auf, ob Gesellschaft und Parlament wirklich dazu bereit wären. „Wenn wir das nicht sind, dann bleibt der gemeinsame Abzug mit den Partnern die richtige Entscheidung.“ Die Bundeswehr hatte Ende Juni nach fast 20 Jahren die letzten Soldaten aus Afghanistan abgezogen.
Pro Asyl fordert neben der Rückholung aller Ortskräfte einen sofortigen Abschiebestopp. Außenminister Heiko Maas ducke sich weg und verschließe die Augen vor der brutalen Wirklichkeit in Afghanistan, sagte Burkhardt. Das Außenministerium arbeitet unterdessen an einer Aktualisierung des Lageberichts in dem Land, der maßgebliche Grundlage für Entscheidungen über Asylanträge und Abschiebungen ist. Vorige Woche hatte das Innenministerium einen geplanten Abschiebeflug mit sechs afghanischen Männern abgesagt. Die Bundesregierung erklärte aber, grundsätzlich an Abschiebungen nach Kabul festzuhalten. (mit Agenturen)