Essen AfD nennt SPD-Chef Schulz "Raffzahn"

Essen · Beim Wahlkampfauftakt in Essen steht die SPD am Pranger. AfD-Spitzenkandidat Guido Reil wirft ihr vor, das Ruhrgebiet heruntergewirtschaftet zu haben. Er will NRW-Justizminister Kutschaty (SPD) am 14. Mai das Direktmandat abjagen.

Der VW-Bus steht neben der Bühne. "Der Steiger kommt. Guido on tour" ist darauf zu lesen. Gemeint ist Guido Reil, der Spitzenkandidat der AfD im Essener Norden. Am Samstag, bei der Eröffnung des Landtagswahlkampfes, finden sich etwa 500 Sympathisanten auf dem mäßig attraktiven Marktplatz in Altenessen ein. Er habe mit mehr gerechnet, räumt Reil ein, der von Beruf Bergmann ist. Gleichwohl gibt der 47-Jährige sich zuversichtlich, am 14. Mai das Direktmandat erobern zu können. Pikant: Reil war bis zum vorigen Jahr Mitglied der SPD. Jetzt wirft er den Genossen vor, das "Ruhrgebiet kaputt gemacht" zu haben. Schuld sei deren Industriefeindlichkeit. Allein in Essen seien in den vergangenen Jahren über 50 Prozent der qualifizierten Arbeitsplätze verloren gegangen. "Aber wir brauchen Industrie und brauchen Kraftwerke", ruft Reil unter Beifall.

Sein politischer Gegner ist NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD), der 2012 mit 58 Prozent das Direktmandat errungen hat. Doch seither ist viel passiert im Essener Norden. Die Flüchtlingswelle hat die Emotionen hochschwappen lassen. "Das Boot ist voll", hatten Teile der SPD unter Führung von Reil damals gewarnt. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft sah sich veranlasst, gegen eine von ihnen geplante Demonstration zu intervenieren. In Essen sind es an diesem Wochenende die Themen Arbeitsplätze, Bildung und vor allem Kriminalität, mit denen die AfD zu punkten hofft.

Kann die AfD damit der SPD gefährlich werden? "Sie ist ein Problem für die SPD, aber nicht nur für sie", sagt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Betroffen seien fast alle Parteien. Dahinter stecke ein bekanntes Phänomen: Die "gefühlte Abstiegsangst" und die Bedrohung der eigenen Stellung in der Gesellschaft mache anfällig für das Wählen von Parteien wie der AfD. Zwar sei die Mehrheitsfähigkeit der SPD im Ruhrgebiet wie anderswo "weiterhin vorhanden - aber eingeschränkt", analysiert Alemann.

Zurück auf den Marktplatz in Altenessen. Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen drischt auf CDU und vor allem SPD ein. Ralf Jäger sei der unfähigste Innenminister. SPD-Chef Martin Schulz sei ein "Raffzahn", der sich erdreiste, von sozialer Gerechtigkeit zu reden. Kraft und Merkel gehörten abgewählt. "Merkel muss weg", skandieren nun die Zuhörer. "Vergessen Sie Frau Kraft nicht", ruft Meuthen. Auch Marcus Pretzell, AfD-Chef in NRW, knöpft sich vor allem die Sozialdemokraten vor. Sie hätten das Land heruntergewirtschaftet. Und wieder bekommt Schulz zu hören, dass er sich als Präsident des Europäischen Parlaments "bereichert" habe. Zum Schluss geht Parteichefin Frauke Petry ans Mikrofon. Sie fordert, Familien bei Steuern und Sozialabgaben stärker zu entlasten. Müttern sollte es wieder möglich sein, sich in den ersten Jahren um ihre Kinder zu kümmern. Es müsse Schluss sein mit dem Gerede vom "Heimchen am Herd", fordert die 41-Jährige. Sie ist hochschwanger, erwartet ihr fünftes Kind. Ihr Mann Marcus Pretzell hat ebenfalls vier Kinder in die Ehe gebracht. Beide haben gegen laute Sprechchöre und schrille Pfiffe anzureden. Dafür, dass es auf dem Marktplatz nicht zu Zusammenstößen kommt, sorgt ein Großaufgebot an Polizei.

(hüw)
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