Kairo Ägyptens Jugend klinkt sich aus

Kairo · Während die Revolutionäre vom Tahrir-Platz sich aus der Politik zurückgezogen haben, flüchten die Jüngeren in die private Rebellion.

Vielleicht sollten sie die Alten alle töten. Kareem Shaheen sagt diesen brutalen Satz, nachdem er sich in Rage geredet hat. Er sitzt mit seinen Freunden in einer Kneipe, die "Freiheit" heißt. Die Freiheit ist eine trostlose Trinkhalle in der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo. Das arabische Wort für Freiheit, Horreya, haben die Demonstranten während der Revolution 2011 auf den Straßen der Kairoer Altstadt skandiert. Jetzt sitzen diejenigen, die damals zu jung waren, um dabei zu sein, in der Kneipe, die sich Horreya nennt. Jungen und Mädchen trinken zusammen ihr Bier und lachen.

Kareem Shaheen ist so etwas wie ein Star der jungen Tattoo-Szene in Kairo. Gemeinsam mit einer Tätowiererin aus Italien leitet er das Studio "Nowhereland" im Stadtteil Zamalek. Der Laden brummt. Sogar Mädchen aus dem konservativen Oberägypten kämen angereist, um sich von seiner italienischen Partnerin ein Mandala stechen zu lassen. Männer aus den Armenvierteln würden nach Anarchie-Zeichen fragen, erzählt Shaheen. "Natürlich sind ihre Eltern dagegen, aber es ist ihnen egal", sagt er.

Als 2011 in Ägypten die Revolution ausbrach, trug Kareem Shaheen bereits ein Peace-Zeichen auf dem rechten Oberarm. Seine Mutter fand es schön, aber "haram" - Sünde. Der Islam verbiete es, den gottgegebenen Körper zu verunstalten, sagte sie damals. Heute lebt ihr Sohn von der unislamischen Kunst, und die Mutter sagt nichts mehr dazu. Vielleicht, weil ihr Sohn auch kaum noch mit ihr spricht. "Wir haben zwei verschiedene Kulturen in Ägypten. Die Alten kapieren nichts. Am besten wäre es, wenn sie sobald wie möglich sterben ", sagt Kareem Shaheen. Seine Freunde nicken,und dann setzt Shehaan eben noch einen drauf und redet dem Mord an der Elterngeneration das Wort.

Als er auf die Parlamentswahlen angesprochen wird, die im Oktober begonnen haben und in Stufen bis in den Dezember dauern, bricht es aus ihm heraus. "Das geht mich einen Scheiß an. Wir haben hier keine Rechte. Ich gehöre ohnehin nicht zu Ägypten", sagt der junge Mann. Das ist sogar der gleichgeschalteten ägyptischen Presse aufgefallen: Nach dem Beginn der Abstimmung im Oktober zeigten Karikaturen eine Knochen-Hand, die einen Stimmzettel in die Urne wirft. Die staatliche Tageszeitung "Al Ahram" beklagte, dass nur noch die Alten zur Wahl gehen würden.

Der Bruch zwischen den Generationen ist auch anderswo deutlich sichtbar. Die Reiseführer für Kairo müssen umgeschrieben werden. Galt es bisher als Regel, in der Öffentlichkeit keine Zuwendung zum anderen Geschlecht zu zeigen, ist es heute kein seltener Anblick, Jungen und Mädchen beim Händchenhalten zu beobachten. War es einst ein Tabu für Frauen, allein in einem Kaffeehaus zu sitzen und Wasserpfeife zu rauchen, ist das nicht einmal mehr in der Altstadt von Kairo ein seltener Anblick. Noch 2011 überwog die Zahl der Schleier-Trägerinnen die Anzahl derjenigen, die das Haar offen tragen. Fünf Jahre später ist es umgekehrt. Während 2011 selbst die Demonstrantinnen auf dem Tahrir-Platz sittsam Kopftuch trugen, ist es heute Mode, es abzunehmen.

Vor einigen Jahren noch undenkbar, kommt es inzwischen sogar vor, dass junge Menschen beiderlei Geschlechts sich eine Wohnung teilen. Es sind nicht wie einst nur die jungen Reichen, die meinen, sie müssten nicht nach den ungeschriebenen Gesetzen leben. Die Kinder aus der Mittelschicht und der unteren Mittelschicht fragen auch nicht mehr, ob sich etwas schickt oder nicht. Sie studieren an den staatlichen Universitäten und haben keine Aussicht auf einen Job. Wer glücklich ist, findet etwas in einem Call-Center. Für ein Leben mit Familie und Ehe, wie es sich die Eltern wünschen, reicht das Gehalt nicht. Vielleicht wirken die Traditionen auf junge Ägypter deshalb so hohl, weil es angesichts der wirtschaftlichen Realität immer schwerer wird, nach ihnen zu leben. Im Gegenteil, viele junge Ägypter müssen von ihren schlecht bezahlten Jobs noch etwas abgeben, damit die Eltern über die Runden kommen. Die Machtverhältnisse in den Familien kehren sich um, und viele Jungen lassen die Alten ihre Verachtung spüren.

Viele träumen vom Entkommen aus der Misere. Die Sprachkurse in Kairo sind überbelegt, Studenten reißen sich um Auslandsstipendien. Sie wollen von guter Bildung profitieren und möchten etwas aus sich machen. Zuhause sehen sie nur ein bedeutungsloses Leben auf sich zukommen. Aber die Chancen für Auswanderer aus dem Mittleren Osten sind derzeit nicht rosig. Also spülen viele den Frust mit Bier herunter oder kiffen. "Warum sollten wir uns von unseren Eltern sagen lassen, wie wir leben sollen?", fragt ein 21-Jähriger. "Sie haben uns in diese Situation gebracht und das Land an die Wand gefahren. Davor soll ich Respekt haben?", fragt er.

Ibrahim Daoud (Name geändert) trägt seine Haare noch so wie früher. Die wilde Mähne hat er sich wieder wachsen lassen, nachdem die Wärter ihm 2013 im Gefängnis den Kopf geschoren haben. Am Revers trägt er einen Button. Es zeigt das Gesicht eines Freundes, der unter der Präsidentschaft des Moslembruders Mohammed Mursi an einer Laterne gehängt worden ist. Der heute 24-jährige Daoud und andere junge Aktivisten hatten sich Anfang 2013 dazu entschlossen, eine Formation zu gründen, die den Tahrir-Platz auch mit Gewalt verteidigen und Feinde der Revolutionäre attackieren sollte: die Polizei und die Moslembruderschaft. Sie nahmen sich die Strategie der Militanten zum Vorbild, die sich in Genua oder Seattle bei Protesten gegen die Globalisierung Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, und nannten sich Anarchisten. Damals legten die Schwarzmaskierten mal die U-Bahn lahm, mal zündeten sie Parteizentralen der Moslembrüder an oder verprügelten Islamisten. Heute lacht Ibrahim Daoud über die alten Zeiten. "Wir waren zu radikal und haben das ganze Land gegen uns aufgebracht", sagt er. Die Gewalt sei falsch gewesen, meint er heute. "Im Gefängnis bin ich reifer geworden."

Einsamer ist er jetzt. Viele alte Freunde sind tot, unter dem neuen Regime von Präsident Abdal-Fattah al Sisi im Gefängnis, im Ausland, oder sie sind keine Freunde mehr. Nach der Haft hat Daoud erfahren, dass er aus der Gruppe heraus verraten worden ist. Das Misstrauen hat das Band zwischen den Tahrir-Revolutionären noch tiefer zerfressen als die Angst vor der Haft oder dem Verschwindenlassen. Ibrahim Daoud kennt Geschichten von Männern, die herausgefunden haben, dass ihre Frauen sie an den Geheimdienst verraten haben. Er suche sich seine Freunde deshalb heute gut aus, sagt er in einem Kaffeehaus in der Kairoer Altstadt. Daoud vermutet, dass er überwacht wird. Aber einen Button zu tragen, ist auch das Einzige, was er sich derzeit an Aufmüpfigkeit leistet. Er wolle im kommenden Jahr sein Ingenieurstudium beenden und heiraten, sagt er. Ziemlich bürgerlich klingt das.

Mohammed Mohsen (Name geändert) nennt die ägyptische Jugend eine tickende Bombe. "Wenn sie explodiert, werden die Jungen alles niederreißen, ohne zu wissen, was an die Stelle des Alten treten soll", sagt er. Den Tahrir-Revolutionär erschreckt der Zynismus der jungen Leute, die alles angreifen, auch die Religion. Damals, in den Jahren der Revolution, hat der Pazifist immer dafür plädiert, Rücksicht zu nehmen auf die religiösen Gefühle der konservativen Ägypter. Provokation führe dagegen nur zu Abwehrreaktionen der Konservativen. Gleichzeitig sieht der 27-jährige Maschinenbauer die Not der jüngeren Generation. "Sie leben nach der Revolution in einer anderen Welt, erleben aber, dass die Alten so tun, als hätte sich nichts geändert. Das macht sie so wütend", sagt er. Ohne Hoffnung auf politische Veränderung bliebe eben nur die Rebellion im Privaten. Punk statt Protest.

(RP)
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