Kairo/Berlin Ägypten im Ausnahmezustand

Kairo/Berlin · Der ägyptische Präsident Moham- med Mursi ruft zur Wiederherstellung der Ruhe im Land das Militär zu Hilfe.

Staatliche ägyptische Medien haben gestern berichtet, dass die Regierung von Präsident Mohammed Mursi der Armee Polizeiaufgaben übertragen will. Mindestens bis zur anstehenden Parlamentswahl sollen Soldaten Zivilisten festnehmen können. Die Zustimmung des von Islamisten beherrschten Oberhauses – der einzigen derzeit exstierenden Parlamentskammer – gilt als sicher. Vor allem bei oppositionellen Kräften weckt dies bedrohliche Erinnerungen an die Unterdrückungsmethoden des Mubarak-Regimes.

Die Armee ist bereits an den Brennpunkten der Proteste mit Panzern präsent. Im Zentrum Kairos kam es erneut zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten, bei denen ein Unbeteiligter erschossen wurde. Gegner Mursis hatten die Nacht über in Zelten auf dem Tahrir-Platz ausgeharrt. Insgesamt stieg die Zahl der Toten im Zuge der tagelangen Proteste damit auf 50.

Die Opposition um Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei schlug ein Gesprächsangebot Mursis als unaufrichtig, "rein kosmetisch und nicht substanziell" aus. ElBaradei, Amr Musa – Ex-Chef der Arabischen Liga – und der populistische arabische Nationalist Hamdeen Sabahi forderten gemeinsam von Mursi, dass er die Verantwortung für das Blutvergießen der vergangenen Tage übernimmt. Zudem müssten die Verantwortlichen im Sicherheitsapparat vor Gericht gestellt werden.

"Es geht nicht um Sicherheit, sondern um Politik", erklärte ElBaradei zur Ausrufung des Ausnahmezustandes durch Mursi, der den Muslimbrüdern sehr nahesteht. 30 Tage lang soll in den Suezkanal-Städten Port Said, Ismailia und Suez eine nächtliche Ausgangssperre von 21 bis sechs Uhr morgens gelten.

ElBaradei fordert eine Regierung der nationalen Rettung. Die Probleme der Wirtschaft und Sicherheit könnten nicht von einer einzigen politischen Strömung gelöst werden, alle Ägypter müssten beteiligt werden. Außerdem verlangte er eine unabhängige Justiz und bezweifelte, dass das Oberhaus repräsentativ besetzt ist.

Amnesty International erwartet von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie sich bei dem für morgen geplanten Berlin-Besuch Mursis für die Menschenrechte einsetzt. Die Lage in Ägypten habe sich seit dem Sturz von Staatschef Hosni Mubarak vor zwei Jahren "nicht grundlegend verbessert", sagte Amnesty-Expertin Ruth Jüttner. Immer noch gingen Armee und Polizei mit übertriebener Gewalt gegen Demonstranten vor. Amnesty forderte auch den sofortigen Stopp aller deutschen Rüstungsexporte nach Ägypten.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, sagte, Mursi sollte alles unternehmen, um seine Versprechen bezüglich Demokratie und Menschenrechten durchzusetzen. Seine Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel. "Ägypten ist entscheidend für den Frieden im Nahen Osten."

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, forderte die ägyptischen Behörden auf, die 21 am Wochenende verhängten Todesurteile gegen gewalttätige Fußballfans in Haftstrafen umzuwandeln. "Falls die Gerichte dies nicht tun, wäre es Aufgabe von Präsident Mursi, sein Gnadenrecht zu nutzen", sagte Löning "Spiegel Online". In Port Said waren 21 Anhänger des Fußballklubs Al Masry wegen Beteiligung an brutalen Ausschreitungen – die 74 Menschen das Leben kosteten – zum Tode verurteilt worden.

(RP)
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