Abrechnung mit Assange

Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg hat ein Enthüllungsbuch über die Praktiken bei der Plattform für geheime Dokumente geschrieben. Darin kritisiert er auch deren Gründer Julian Assange.

Düsseldorf Sie waren beste Freunde. Der mysteriöse Australier mit den weißen Haaren zum Bubengesicht, Wikileaks-Gründer Julian Assange, und sein deutscher Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg. Vor vier Jahren, beim Treffen der Computer-Hackerszene in Berlin, treffen sie sich zum ersten Mal. Schnell erkennt Assange, dass der schlaksige Deutsche genaue Kenntnis von Computernetzwerken hat und von derselben Idee überzeugt ist wie er selbst: vom Prinzip Öffentlichkeit. Beide wollen sie das Internet nutzen, um Missstände publik zu machen, um an einer transparenteren, besseren Gesellschaft mitzuwirken. Und sie wollen die Mächtigen dieser Welt vorführen: Geheimdienste, korrupte Banken, Scientology. Und die USA.

Wenn Assange (39) in Deutschland zu tun hat, wohnt er in der Wiesbadener Souterrain-Wohnung seines Freundes. Er reist stets mit kleinem Rucksack an, darin, was er zum Leben braucht: Handy, Laptop, wenige Klamotten. Ein moderner Freiheitskämpfer, unprätentiös, blitzgescheit. Das gefällt Daniel Domscheit-Berg (32). Er kündigt seine komfortable Stelle als Netzwerk-Designer bei einem Konzern in Rüsselsheim und steigt ganz bei Wikileaks ein. Der Beginn einer überaus erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen zwei ungleichen Männern. Der geniale, chaotische, charismatische Assange und sein nüchterner, solider deutscher Sprecher ergänzen sich perfekt.

Bis zum August 2010. Da kündigt Assange seinem engsten Vertrauten beim Chat – mit Vokabeln, die kaum zu einem Internet-Guerillero passen wollen: "Du wirst suspendiert wegen mangelnder Loyalität, fehlender Unterordnung und Destabilisierung in Krisenzeiten." Ein Zitat aus dem Spionagegesetz der USA. Vorher hatte Assange auch schon mal gedroht, seinen Sprecher "zu jagen und zu töten", wenn er Fehler mache. Assange fürchtet, dass der umsichtige Freund zu mächtig werden könnte, dass er ihm gar den Rang als alleiniger Gründer von Wikileaks streitig machen könnte.

Daniel Domscheit-Berg hatte zunehmend Kritik an der Arbeitsweise von Wikileaks geäußert, wollte feste Strukturen, ein Büro, bezahlte Angestellte, die ihre Arbeit sorgfältig machen könnten. Er wollte über diese Dinge offen diskutieren. Und scheiterte.

Nun wendet er das Prinzip Öffentlichkeit auf Wikileaks selbst an. Soeben ist sein Buch erschienen, "Inside Wikileaks", in dem er Auskunft gibt über "meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt". Darin beschreibt Domscheit-Berg den früheren Freund als manische, paranoide Figur, der es um den eigenen Ruhm geht, nicht mehr um die gerechte Sache. "Ich habe noch nie so eine krasse Persönlichkeit erlebt wie Julian Assange. So freigeistig. So energisch. So genial. So paranoid. So machtversessen. Größenwahnsinnig." Bewunderung klingt noch an in solchen Sätzen, doch der Bruch ist vollzogen. Auch professionell: Drei Wochen nach seinem Rauswurf gründet Domscheit-Berg eine eigene Plattform. Er nennt sie Open Leaks. Andere Netz-Aktivisten folgen ihm, und sie nehmen Dokumente mit, die sie bei Wikileaks nicht mehr sicher wähnten.

Die Vorwürfe, die der ehemalige Wikileaks-Sprecher in seinem Buch erhebt, richten sich nicht nur gegen Assanges eigenwilligen Kommunikationsstil. Sie treffen ins Mark. So schreibt er etwa, dass an Wikileaks lange Zeit keineswegs Hunderte Sympathisanten mitgearbeitet hätten, sondern nur Assange und er. Sogar die Echtheitsprüfung der unzähligen Dokumente hätten sie alleine erledigt. Auf gut Glück. "Es passierte uns kein Fehler, aber es hätte auch schiefgehen können", so Domscheit-Berg.

Außerdem sei ihr eigenes Computersystem mangelhaft gewesen. Lange hätten sie mit einem Server gearbeitet, ohne Kapazitäten für ausreichende Sicherungskopien. Dazu habe Assange eine Grundsatzvereinbarung der Plattform außer Kraft gesetzt: Veröffentlicht wurde nicht mehr in der Reihenfolge des Eingangs von Dokumenten, sondern nach Skandalpotenzial, "Big shots" zuerst. Auch die Zusammenarbeit mit ausgewählten Zeitungen und Magazinen habe sie in ungewollte Abhängigkeiten gebracht. Und dann soll Assange in einem Interview gesagt haben, Spenden für Wikileaks könne er als Untergrundkämpfer nicht transparent abrechnen. Hinterher wollte er zwar falsch zitiert worden sein, doch Daniel Domscheit-Berg dämmerte wohl, dass er nicht mehr für ein Kollektiv aufrechter Nerds arbeitete, das ausschließlich die Technik liefern wollte, um brisante Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, sondern für einen machtbewussten Alleinherrscher, der selbst in der Rolle des Enthüllers glänzen wollte.

Wegen Vergewaltigungsvorwürfen lebt der rastlos reisende Assange derzeit in England unter Hausarrest. Zwei Frauen in Schweden, die ihn beherbergt hatten, werfen ihm vor, sie zu Sex ohne Kondom genötigt zu haben. Ob er nach Schweden ausgeliefert wird, entscheidet ein britisches Gericht in einigen Wochen. So lange lebt Assange in einem Landhaus bei London und hat sich mit neuen, teils dubiosen Helfern umgeben. Große Enthüllungen kündigt er seitdem nur noch an.

Könnte sein, dass der Kämpfer für mehr Transparenz auf der Welt an seiner eigenen Idee scheitert.

Das Buch "Inside Wikileaks" von Daniel Domscheit-Berg und Tina Klopp, Econ-Verlag, 305 Seiten, 18 Euro

(RP)
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