Berlin Abhören unter Freunden

Berlin · Der Bundesnachrichtendienst soll befreundete Staaten systematisch ausgespäht haben. Das ist pikant, nicht zuletzt wegen des bekannten Satzes der Kanzlerin. Die Aufklärung der Affäre ist mühsam.

Der Bundestag will zur Aufklärung der jüngsten Spionage-Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst eine eigene "Taskforce" in die Zentrale des BND im bayerischen Pullach entsenden. Dies wollte das Geheimdienst-Kontrollgremium gestern Abend beschließen.

Gestern morgen war bekannt geworden, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst offenbar systematisch bis Oktober 2013 Botschaften und andere Behörden von EU-Ländern sowie weitere Partnerstaaten ins Visier genommen hat. Ein Ziel war laut RBB auch das US-Außenministerium. Die Bundesregierung hatte am Mittwochabend das Kontrollgremium informiert, dass der BND befreundete Staaten mithilfe von Selektoren ausspioniert hat, wie "Spiegel Online" und die ARD berichteten. Auch US-amerikanische Ziele sollen auf der Liste gestanden haben.

Selektoren sind Suchmerkmale wie E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder einzelne Begriffe, durch die der Datenverkehr überwacht werden kann. Um Terror zu bekämpfen, benötigen die Geheimdienste diese Techniken. Doch seit den ersten Enthüllungen durch den Ex-Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, vor mehr als zwei Jahren gibt es immer neue Vorwürfe gegen die amerikanischen und auch die deutschen Geheimdienstler, dass sie ihre gesetzlichen Grenzen weit überschreiten.

Ob der Bundesnachrichtendienst illegal handelte, als er seine Selektoren auf Ziele in verbündeten Staaten ausrichtete, soll die Taskforce nun herausfinden. Die Fachleute sollen schon in der kommenden Woche nach Pullach reisen und BND-Mitarbeiter befragen.

Pikant an der neuen Enthüllung ist, dass Angela Merkel im Oktober 2013 gesagt hatte: "Abhören unter Freunden - das geht gar nicht." Damals war gerade bekannt geworden, dass die Amerikaner das Mobiltelefon der Kanzlerin ausspioniert hatten. "Während sie diesen Satz gesagt hat, müssen sich die Damen und Herren beim BND ja auf die Schenkel geklopft und gefragt haben: Was erzählt die denn da?", sagte gestern Hans-Christian Ströbele (Grüne), der auch Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist. Jedenfalls stellte der BND just im Oktober 2013 seine Fischzüge mit Selektoren bei befreundeten Staaten ein.

"Die neuen Vorwürfe zeigen: Wir brauchen strengere Regeln für den BND. Und wir müssen sicherstellen, dass diese Regeln auch durchgesetzt werden", sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Eine Reform der rechtlichen Grundlagen für die Arbeit des BND sei notwendig. "Rechtsstaat und Grundrechte enden nicht an Deutschlands Grenzen", betonte Maas. Er forderte zudem, die Tätigkeit des BND einer besseren demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. "Das Parlament muss die ausreichenden Mittel für eine effektive Kontrolle der Geheimdienste haben." Dazu würden mehr Befugnisse und eine verbesserte Ausstattung mit Sach- und Personalmitteln gehören, forderte Maas.

Dem BND wird nicht zum ersten Mal vorgeworfen, auch Freunde abgehört zu haben. Schon im Frühjahr wurde öffentlich, dass die Deutschen den Amerikanern behilflich waren, europäische Institutionen und befreundete Staaten auszuspähen. Damals soll der BND mit Selektoren des US-Geheimdienstes einen Teil der Kommunikation in Europa überwacht haben. Unter anderem standen die europäischen Rüstungsunternehmen Eurocopter und EADS auf den Listen.

Die Aufklärung der vielen verschiedenen Vorwürfe ist mühsam: Im Frühjahr 2014 setzte der Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein, der das Ausmaß der Spähangriffe gegen Deutschland untersuchen sollte. Inzwischen beschäftigt sich der Ausschuss auch mit der Tätigkeit des BND und der Frage, in welchem Umfang er den USA half.

Anfang November soll vor dem Untersuchungsausschuss ein Bericht über die Geheimliste der NSA-Selektoren vorgelegt werden, mit deren Hilfe der Bundesnachrichtendienst in Europa Daten sammelte. Die Opposition hatte verlangt, selbst Einblick in die Listen zu erhalten. Die Koalition einigte sich aber darauf, dafür einen Vertrauensmann zu bestellen. Das ist der Verwaltungsrichter Kurt Graulich.

Während Abgeordnete der Opposition dem Kanzleramt wahlweise den Vorwurf machten, es habe keine Ahnung, was der deutsche Geheimdienst treibe, oder es verhalte sich selbst intransparent, misstraut das Kanzleramt inzwischen den Parlamentariern in dieser Frage. Immer wieder drangen auch aus Gremien mit Geheimhaltungspflicht Details an die Öffentlichkeit.

(jd / qua)
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