Berlin 560 000 sind internetsüchtig

Berlin · Ein Prozent der Bundesbürger zwischen 14 und 64 geht täglich für mindestens vier Stunden zwanghaft online. Besonders Jugendliche laufen Gefahr, dass sie über das Netz ihr Sozialleben und ihre Pflichten vernachlässigen.

Mehr als jeder 20. Deutsche hat Mühe, seinen Internet-Konsum zu kontrollieren. Nach einer Studie der Universität Lübeck gilt ein Prozent der Bevölkerung als abhängig vom Netz, bei weiteren 4,6 Prozent stufen die Wissenschaftler den Konsum als problematisch ein.

Damit gibt es in Deutschland mehr Internet-Abhängige als Glücksspielsüchtige, bei denen die Quote nur 0,3 Prozent der Bevölkerung beträgt. Besonders gefährdet sind Mädchen im Teenager-Alter. Von den 14- bis 16-Jährigen gelten vier Prozent als süchtig nach dem Internet, und bei mehr als 17 Prozent gehen die Experten von einem problematischen Konsum aus. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen tummeln sich vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook und StudiVZ im Internet. Dies trifft auf 77 Prozent der weiblichen 14- bis 24-Jährigen und auf 64 Prozent der männlichen Konsumenten in diesem Alter zu. Ein Drittel der jungen Männer gibt Online-Spiele als Hauptaktivität an.

Im Kampf gegen die Internetsucht plant die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, eine Gesetzesverschärfung. "Besonders suchtgefährdende Spiele sollten anhand von klaren Kriterien ermittelt werden und eine höhere Altersbewertung erhalten", sagte sie. Dyckmans bezeichnete die Zahl der Internet-Abhängigen als besorgniserregend.

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), zeigte sich alarmiert. "Wir müssen und wir wollen das Thema Internet-Sucht sehr ernst nehmen", sagte Spahn unserer Zeitung. Es müsse gelingen, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, ohne plump den Zeigefinger zu heben. Bei der Therapie sieht er die Krankenkassen in der Pflicht. "Wie bei allen Suchterkrankungen brauchen wir auch hier Therapieplätze und eine Kostenübernahme durch die Kassen", betonte Spahn.

Als Anzeichen für eine Internet-Abhängigkeit nannte Studienautor Hans-Jürgen Rumpf den Kontrollverlust. "Man entscheidet nicht mehr selbst, wie lange man im Netz bleibt." Wenn die Abhängigen nicht online sein könnten, machten sich bei ihnen häufig Angstgefühle, Unruhe, Gereiztheit oder Langeweile bemerkbar, betonte der Wissenschaftler. Die Experten stellten fest, dass die Abhängigen vier Stunden und mehr täglich zwanghaft im Netz sind. Bei der als problematisch eingestuften Gruppe seien es rund drei Stunden, sagte Rumpf. "Die unauffälligen Nutzer liegen weit darunter."

Kritisch stufte der Experte die Flatrates ein, die es den Konsumenten ermöglichen, zu einem festen Preis ständig ins Internet zu gehen. Ähnlich wie beim Alkohol spiele die Verfügbarkeit bei Suchterkrankungen eine große Rolle, betonte Rumpf. Er sieht aber in einem Verbot von Flatrates keine Lösung im Kampf gegen Internet-Sucht.

Die jungen Frauen gelten häufiger als süchtig nach dem Internet, bei den jungen Männern jedoch treten mehr schwere Fälle auf. Als schwere Fälle gelten jene Betroffenen, die über ihren täglichen Internet-Konsum den Pflichten für Schule oder Arbeitsplatz nicht mehr nachkommen können, ihre sozialen Kontakte im realen Leben abbrechen und teilweise auch körperlich verwahrlosen. Studien-Autor Rumpf betonte: "Diese Personen machen meistens Online-Spiele."

(RP)
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