5000 Tote in Syrien

In knapp neun Monaten hat das Regime von Diktator Baschar al Assad Tausende Menschen töten lassen, und das Morden geht weiter. Trotzdem ist kein internationales Eingreifen in Sicht.

Damaskus/Düsseldorf Meist sind es nur verwackelte HandyVideos oder unscharfe Fotos, die aus Syrien ins Ausland gelangen. Das Land ist Sperrgebiet für Journalisten – Diktator Baschar al Assad lässt lieber im Verborgenen morden. Doch das, was bisher trotzdem bekannt wurde, ist schockierend. Oppositionsgruppen im Exil berichten schon seit Längerem von einem wahren Blutbad, das Assads Schergen unter Zivilisten anrichten. Ihre Schilderungen wurden jetzt auch offiziell bestätigt. Seit März habe das Regime mehr als 5000 Menschen getötet, darunter über 300 Kinder, erklärte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay.

Eine große Zahl von Syrern sei zudem in Lagern interniert, in denen gefoltert und vergewaltigt werde. Die staatliche Gewalt gegen Zivilisten hat damit ein Ausmaß erreicht, das nach Pillays Einschätzung einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommt. Die Südafrikanerin empfahl dem Weltsicherheitsrat, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag einzuschalten.

Es ist eine eher hilflose Geste. Denn der Sicherheitsrat ist vor allem wegen der Blockade durch Russland gelähmt. Die Veto-Macht stemmt sich neben China weiterhin strikt gegen eine Resolution, die Syrien verurteilt. Das Assad-Regime ist Russlands einziger Verbündeter in der Region und zudem ein wichtiger Kunde für Waffenlieferungen. Außenminister Sergej Lawrow bemüht sich daher schon seit Monaten, den Eindruck zu erwecken, als liege die Schuld an der Gewaltorgie gar nicht allein bei Assad.

Die bewaffneten Regime-Gegner seien mitschuld an der Eskalation der Lage, behauptete Lawrow gestern erneut. Sie wollten eine internationale Militärintervention wie in Libyen provozieren. Und genau dieses Szenario will Moskau um jeden Preis verhindern. Während die USA und Europa Präsident Assad zum Rücktritt aufforderten, ignorierten sie die Gewalt seitens der Opposition, schimpfte Lawrow. Das sei "unmoralisch".

Richtig ist, dass sich nach neun Monaten des vorwiegend friedlichen Protests gegen Assad allmählich auch ein bewaffneter Widerstand formiert hat. Es sind vor allem Deserteure der syrischen Armee, die sich zu einer Guerilla zusammenschließen. Täglich kommt es jetzt zu Scharmützeln zwischen regimetreuen Soldaten und Mitgliedern der "Freien Syrischen Armee", die von Oberst Rifat Asaad geführt wird. Der bisher ranghöchste Deserteur hat in der Türkei Zuflucht gefunden. Gemunkelt wird, dass der türkische Auslandsgeheimdienst die Rebellen inzwischen ausbildet und mit Informationen versorgt.

Von zunehmenden Gefechten berichtete auch ein französisches TV-Team, das sich vor zwei Wochen erstmals von türkischem Territorium aus heimlich in die Stadt Homs durchschlagen konnte, eine Hochburg des Widerstands gegen Assad. Die Bilder der Franzosen zeigen, wie Scharfschützen bei einer Demonstration wahllos in die Menge schießen und wie daraufhin in der folgenden Nacht Bewaffnete einen Militärposten angreifen. Bisher sind das angesichts der gewaltigen Übermacht der regimetreuen Verbände nur militärische Mückenstiche. Aber Syrien scheint ganz klar auf dem Weg in einen Bürgerkrieg.

Unterdessen mimt die Regierung Normalität. In einem bizarren Interview mit einem US-Fernsehsender behauptete Staatschef Assad vergangene Woche, niemals einen Schießbefehl gegen sein Volk erteilt zu haben. Die staatlichen Medien berichteten derweil über eine angeblich rege Beteiligung an der soeben durchgeführten Kommunalwahl, obwohl zugleich ein Generalstreik das Land in weiten Teilen lähmte.

Immer wieder präsentiert das Regime auch angebliche Beweise dafür, dass in Wirklichkeit "bewaffnete Banden" für die Gewalt verantwortlich seien. Mit wenig Erfolg: Schreckliche Nahaufnahmen von verstümmelten Menschen, die der syrische Innenminister unlängst in Damaskus veröffentlichen ließ und die angeblich gefallene syrische Soldaten und Mitglieder einer islamistischen Terrorzelle zeigten, entpuppten sich als plumpe Fälschung, die schon seit Längerem im Internet kursiert.

Propaganda ist indes nicht Assads einzige Waffe. Beobachter befürchten, dass der angezählte Diktator dabei ist, seine Drohung wahr zu machen und die gesamte Region zu destabilisieren. So wurden Ende November vom Südlibanon vier Raketen nach Israel geschossen. Das Gebiet ist fest in der Hand der von Syrien abhängigen schiitischen Hisbollah-Miliz. Elf Tage später wurden in derselben Gegend fünf französische Angehörige der UN-Schutztruppe Unifil bei einem Bombenanschlag verletzt. Er habe "keinen Zweifel", dass Syrien hinter dem Anschlag auf die Soldaten stecke, sagte Frankreichs Außenminister Alain Juppé. Er glaubt, dass Assad einschüchtern will: Frankreich hatte als erstes Land militärisch in Libyen eingegriffen; von Paris stammt auch die Idee, in Syrien zum Schutz der Zivilbevölkerung "humanitäre Korridore" einzurichten.

(RP)
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