Sewastopol 300 000 Krimtataren bleiben zutiefst misstrauisch

Auf dem Tisch steht ein Kännchen mit dampfendem türkischem Kaffee. Rustem Eminow zieht ein paar Schwarzweiß-Fotos aus einer Mappe. Sie zeigen die alte Moschee von Alupka, errichtet 1828 von Graf Michail Woronzow. Der damalige Generalgouverneur auf der Krim baute sich in dem Dörfchen einen Palast im neomaurischen Stil - da passte eine Moschee für die ortansässigen Tataren gut ins Konzept. "Die Sowjetmacht hat unsere Moschee 1928 abfackeln lassen", erzählt Rustem Eminow (63). Nun will der Vorsitzende der tatarischen Gemeinde von Alupka das Gotteshaus wieder aufbauen lassen. Rund 360 000 Euro würde das kosten, schätzt Eminow. "Ich habe schon nach Moskau geschrieben, vielleicht bekommen wir ja Hilfe."

Seit die Schwarzmeerhalbinsel von Russland annektiert wurde, sind die knapp 300 000 Krimtataren zerrissen zwischen Hoffen und Bangen. Gegen die russische Besetzung der Krim hatten sich die meisten Tataren gewehrt. Das Referendum über die Loslösung von der Ukraine boykottierte die muslimische Minderheit. "Wer hat denn die Krimtataren seit mehr als 230 Jahren unterdrückt?", fragt Rustem Eminow. Eine Anspielung darauf, dass die russische Zarin Katherina die Große 1783 das Khanat der Krimtataren dem russischen Riesenreich einverleibte. Stalin ließ 1944 sämtliche Tataren nach Zentralasien deportieren - als Strafe dafür, dass einige von ihnen mit Nazi-Deutschland kollaboriert hatten.

Die russische Führung unter Wladimir Putin sendet nun sehr gemischte Botschaften, was ihren Umgang mit den Krimtataren angeht. Einerseits wurde das in Russland bestehende Gesetz über die Rehabilitierung der von Stalin unterdrückten Völker nun auch auf die Krimtataren erweitert. Das Regionalparlament der Krim stimmte außerdem kürzlich für einen Gesetzentwurf, der neben zwei orthodoxen Feiertagen auch zwei islamische Feiertage für arbeitsfrei erklärt.

Andererseits wurden in diesem Jahr die Gedenkveranstaltungen der Krimtataren zum Jahrestag der Zwangsumsiedlung am 18. Mai von den Behörden vielerorts untersagt. Der langjährige politische Führer der Krimtataren, Mustafa Dschemilew, erhielt eine fünfjährige Einreisesperre für die Russische Föderation und darf somit nicht auf die Krim zurückkehren. Der 70-Jährige gilt vielen in seinem Volk als moralische Autorität. Die Führung der Krim wirft ihm vor, Widerstand gegen die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine zu organisieren.

"Es macht Angst, dass die Fremdenfeindlichkeit auf der Krim ständig zunimmt", sagt Dilaver Akijew, Leiter der krimtatarischen Jugendorganisation "Rat der Jugend". Mittlerweile hätten bereits 5000 Krimtataren die Halbinsel verlassen. Akijew ist auch Mitglied im Medschlis, der traditionellen politischen Führung der Krimtataren. Am Gebäude des Medschlis im Zentrum von Simferopol weht neben der krimtatarischen auch die ukrainische Flagge. Warum? "Nach russischem Gesetz ist es nicht verboten, die Fahnen anderer Staaten aufzuhängen", sagt Dilaver Akijew und grinst.

(hei)
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