20 Jahre Internet

Der Brite Tim Berners-Lee schuf am 6. August 1991 die Grundlagen für das World Wide Web – seitdem hat das Netz unser Leben revolutioniert. Doch das Internet birgt auch Gefahren.

LONDON Einen offiziellen Geburtstermin gibt es nicht. Von der euphorischen Webgemeinde wurde der 20. Geburtstag des Internets bereits 2009 gefeiert. Das Internet in seiner heutigen Form hat sich über mehrere Jahrzehnte entwickelt. Die erste E-Mail schickte 1971 der Computertechniker Ray Tomilson in Cambridge, Massachusets durch das Arpanet. 1990 wurde das Arpanet abgeschaltet und die kommerzielle Nutzung des Internets auf der Basis der Erfindungen von Tim Berners-Lee begann.

Ende der 80er Jahre kam dem damals 35-jährigen Physiker die Idee für das "World Wide Web" (WWW). Heute vor genau 20 Jahren hat Berners-Lee sein Projekt in die weite Welt entlassen. Damit veränderte der Brite das Leben von 2,9 Milliarden Menschen.

Am 6. August 1991 beschrieb der Mitarbeiter des europäischen Kernforschungszentrums Cern in Zürich die Prinzipien von WWW in der "alt.hypertext"-Diskussionsgruppe, er erklärte die Funktionsweise eines Servers, er schrieb vom Adressenformat, einem Browser und verlinkte die Beschreibung zur ersten Webseite der Welt. Der Brite beendete seine Nachricht mit den Worten "Wir sind daran interessiert, das Netz zu verbreiten. Mitarbeiter sind willkommen." Er konnte wohl kaum ahnen, welche gewaltige Revolution er damit lostreten würde. Jetzt ist es kaum vorstellbar, dass es eine Zeit ohne virtuelles Computernetz gegeben hat.

Es ist eine Enttäuschung, Sir Tim live zu erleben. Der 2004 von der Queen zum Ritter geschlagene Engländer spricht schnell und holprig, er verschluckt Laute, fuchtelt aufgeregt mit den Händen und schaut unablässig zu allen Seiten, als würde er eine Verfolgung befürchten. Einen "Gott der Information" stellt man sich anders vor. Dennoch erklärten 1999 und 2007 die US-Zeitschrift "Time" und der "Daily Telegraph" Berners-Lee zu einem der 100 größten Genies des 20. Jahrhunderts – sicher zu recht. Er selbst schmückt sich ungerne mit Lorbeeren. Auf seiner Webseite erklärt der bescheidene Wissenschaftler beispielsweise, dass er nicht das Internet erfunden habe: "Damals war alles Nötige bereits da. Ich musste nur das Hypertext-Prinzip mit dem TCP-und DNS-Prinzip verbinden und – tataa! – fertig war das Netz."

Berners-Lee hat Physik an der Uni Oxford studiert. Dort bastelte er sich einen Computer aus einem kaputten Fernsehgerät. Nach dem Studienabschluss mit Auszeichnung entwickelte er Software, ehe er 1980 zum "Cern" kam. Dort baute der junge Ingenieur zunächst die auf dem Hypertext-Prinzip basierte Datenbank Enquire auf, in der jede neue Seite mit einem existierenden Eintrag verlinkt wurde.

Mitte der 80er Jahre stand Berners-Lee vor einer neuen Herausforderung: Er musste einen Weg finden, wie Forscher aus aller Welt ihre auf unterschiedlichen Computersystemen gespeicherten Informationen lesen und austauschen könnten. Alles musste mit allem verknüpft werden. 1989 schlug der Londoner die Idee eines globalen Hypertext-Systems vor. Aber wie sollte es heißen? Berners-Lee favorisierte den Namen "The Information Mine", verwarf ihn aber, weil das abgekürzt seinen eigenen Namen ergab: TIM.

"World Wide Web" klang dagegen uneitel und traf den Kern. Bis Dezember 1990 entwickelte der Brite alle nötigen Instrumente für das Internet: die Web-Sprache HTML, das Datenprotokoll HTTP, einen Browser und die Server-Software. Von Anfang an war klar, dass das "Surfen" im Ozean der Information nichts kosten sollte. So faszinierend die Netz-Idee war, sie konnte nur funktionieren, wenn genügend Menschen eigene "Knoten" knüpfen würden. "Das Schwierigste war, die Leute zur Teilnahme zu bewegen. "Das mache ich heute noch", sagt Berners-Lee, der unter anderem seit 1994 als Chef des World Wide Web Consortium (W3C) über die globalen Internet-Standards wacht.

Binnen vier Monaten nach der Premiere des WWW entstanden die ersten Server Europas außerhalb des "Cern". Ende 1992 gab es 26 davon weltweit, ein Jahr später verzehnfachte sich diese Zahl. Der Rest ist Geschichte. Berners-Lee genießt großen Respekt, reich wurde er mit seiner Erfindung jedoch nicht. "Während andere im Internet Millionen verdienen, bezieht er ein bescheidenes Akademiker-Gehalt und fährt mit einem

20 Jahre alten VW Golf zur Arbeit", schrieb 2004 die "Sunday Times". Immerhin bejubelte die Zeitung den Netzpionier als "den wichtigsten Briten der Gegenwart".

Berners-Lee weiß, dass er einen Geist aus der Flasche freigelassen hat, der auch dunkle Seiten hat. 20 Jahre nach der Geburt des WWW warnen manche Psychologen etwa vor einer Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer und der Flucht vor realen Problemen. "Cyber-Verbrechen" kosten Großbritannien mehrere Milliarden Pfund im Jahr. Die britischen Behörden werden jeden Monat im Schnitt von 20 000 E-Mails mit schädlichen Codes bombardiert. In den vergangenen Jahren haben mehrere Menschen im Königreich sich "live" im Internet umgebracht oder in Webforen Absprachen zum gemeinsamen Selbstmord getroffen.

"Mr. WWW" akzeptiert die Kritik an seiner Schöpfung und ruft ihre Benutzer dazu auf, das Netz zum Wohl der Menschheit zu nutzen. "Jede mächtige Technologie kann guten oder schlechten Zweck erfüllen", schreibt Sir Tim auf seiner Webseite. "Die meisten schlimmen Dinge im Leben geschehen, weil die Menschen einander nicht verstehen. Darum lasst uns einander im Netz helfen."

(RP)
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