100 Jahre nach dem Mord an Rathenau „Unsere freiheitliche Gesellschaft wird bedroht von Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation“
Berlin · Die junge Weimarer Republik wurde von einer Serie politischer Morde erschüttert. Eines der prominentesten Opfer war Außenminister Walther Rathenau. Zum 100. Jahrestag seiner Ermordung ruft die deutsche Staatsspitze zur Verteidigung der Demokratie auf.

Der jüdische Außenminister der Weimarer Republik, Walter Rathenau, fiel 1922 rechtem Terror zum Opfer. Eine wehrhafte Demokratie müsse sich mit allen Mitteln gegen jede Form von Hass und Hetze erheben, mahnen der Bundespräsident und die Bundestagspräsidentin auf der Gedenkveranstaltung in Berlin.
Foto: dpa/Fabian SommerZum 100. Jahrestag der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau in der Weimarer Republik haben die Spitzen des Staates dazu aufgerufen, die Demokratie entschlossen zu verteidigen. „Unsere Demokratie muss wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden, nach außen, aber auch nach innen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier laut Redemanuskript am Freitag in Berlin während einer Gedenkveranstaltung. „Eine Demokratie, die jene nicht schützt, die sich demokratisch engagieren, verrät sich selbst.“
Steinmeier und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wiesen darauf hin, dass es im heutigen Deutschland so viele politisch motivierte Straftaten, darunter antisemitische, gebe wie noch nie zuvor. „Unsere freiheitliche Gesellschaft wird bedroht von Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation, von Hetze und Hass“, warnte Bas. Dieser Hass habe zu den Morden des NSU, den Anschlägen von Halle, den Toten von Hanau und zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke geführt. „Dem müssen wir entschieden entgegentreten - Politik, Gesellschaft, Rechtsstaat. Mit allen Mitteln.“
Rathenau fiel rechtem Terror in der noch jungen Weimarer Republik zum Opfer. Mitglieder der rechtsextremen Organisation Consul erschossen den liberalen Politiker am 24. Juni 1922 im Berliner Grunewald auf dem Weg ins Auswärtige Amt. Rathenau war Jude. Seine Entspannungs- und Annäherungspolitik missfiel nationalistischen Kreisen, die die erste parlamentarische Demokratie auf deutschem Boden hassten und als „Judenrepublik“ schmähten.
Steinmeier würdigte Rathenau als „einen klugen Kopf, einen großen Deutschen und einen Märtyrer der deutschen Demokratie“. In schwerster Zeit habe der Großindustrielle, Schriftsteller und Intellektuelle Verantwortung für Deutschland übernommen und sich als Reichsminister für den Wiederaufbau und Außenminister in den Dienst der Republik gestellt. „Für die Feinde der Demokratie aber war Rathenau die ideale Verkörperung der angeblich jüdisch-kapitalistischen Weltverschwörung.“
„Vor 100 Jahren opferte Walther Rathenau sein Leben für die Demokratie, heute tun dies die tapferen Verteidiger der Ukraine“, sagte Steinmeier. Wehrhafte Demokratie bedeute deshalb auch, sich stärker als bisher gegen äußere Angriffe auf unsere Freiheit zu wappnen, nicht zuletzt militärisch. „Vor allem aber bedeutet sie: umfassende Solidarität mit der Ukraine, damit die Gewalt nicht über die Freiheit triumphiert.“
Steinmeier und Bas riefen die Menschen in Deutschland dazu auf, für die Demokratie zu streiten. „Der stärkste Republikschutz sind selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger“, sagte Steinmeier. „Menschen, die wissen, dass jede Schmähung der Demokratie, ihrer Institutionen und Köpfe auch ein Angriff auf ihre eigene Freiheit ist - und die sich deshalb einmischen und ihre Stimme erheben gegen Populisten und Extremisten jeder Art.“