Biodiversität bei Vögeln „Der Rückgang ist dramatisch“

Interview | Düsseldorf · Vögel machen glücklich: Wo es viele gibt, sind die Menschen zufriedener. Aber ein Drittel der Vogelindividuen auf Feldern und Wiesen sind in den letzten 25 Jahren verloren gegangen, sagt Katrin Böhning-Gaese. Die Wissenschaftlerin erklärt, woran das liegt – und was wir dagegen tun könnten.

Es gibt eine gute Nachricht, sagt Katrin Böhning-Gaese: Wenn die Bedingungen stimmen, können sich die Vogelbestände schnell erholen. Was dafür nötig ist und wieso geopolitische Krisen wie der Krieg in der Ukraine dabei eine Rolle spielen, erklärt die Direktorin des Frankfurter Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in der aktuellen Episode des RP-Podcasts „Tonspur Wissen“. Sie ist Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt, war Vize-Präsidentin der Leibniz-Gemeinschaft und ist Mitglied der Leopoldina.

Frau Böhning-Gaese, warum macht es uns glücklich, wenn wir Vögeln begegnen?

Katrin Böhning-Gaese: So richtig wissen wir noch nicht, warum das so ist. Wir wissen aber zumindest, dass es da einen Zusammenhang gibt. Wenn wir also in einer Umgebung mit einer hohen Vogeldiversität leben, sind wir nachweislich zufriedener und gesünder. Aber woran das konkret liegt, dazu findet gerade noch viel wissenschaftliche Grundlagenforschung statt.

Also weiß man nicht genau, ob es an den Vögeln selber oder den Gegenden liegt, in denen einfach viele Vögel leben?

Böhning-Gaese: Genau, es gibt mehrere Möglichkeiten. Man weiß, dass Menschen bei einem Spaziergang durch einen Wald diesen als erholsamer empfinden, wenn dort viele Vögel singen. Das hat man herausgefunden, indem man entlang von Wanderwegen Lautsprecher aufgebaut hat und dann die Wanderer danach gefragt hat, wie entspannend sie die Wanderung empfanden. Vogelgesang scheint also eine Wirkung darauf zu haben. Wir erholen uns von Stress besser, wenn wir in einer angenehmen und schönen, erholsamen Umgebung sind.

Das ist ganz dicht assoziiert mit dem Vorhandensein von Singvögeln?

Böhning-Gaese: Wenn man die Wanderer mit Vogelgesang und die ohne Vogelgesang anschließend befragt, empfinden erstere die Wanderung als erholsamer. Der Vogelgesang hat also eine ganz direkte Wirkung auf die Erholung.

Man muss die Vögel also gar nicht sehen, sondern nur hören?

Böhning-Gaese: In dem Fall hat es funktioniert, obwohl es nicht einmal echte Vögel waren, sondern man diese nur aus dem Lautsprecher gehört hat. Es gibt aber auch Studien darüber, dass Menschen einen Besuch im Park ebenfalls positiver und erholsamer bewerten, wenn sich dort am Nachmittag viele Vögel befinden. Da geht es jedoch offensichtlich darum, die Vögel auch zu sehen.

Müssen es viele Vögel von einer Sorte sein oder können es ganz verschiedene Arten sein?

Böhning-Gaese: Das wurde bei der Studie nicht näher aufgeschlüsselt. Wir haben noch keine so richtig handfesten Beweise. Nur Hinweise, dass auch die Diversität des Gesangs wahrgenommen wird. Auch wenn man etwa Bilder von einer Stadt zeigt und diese mit Vogelgesang von vielen verschiedenen Arten hinterlegt, finden die Betrachter diese Stadtansichten schöner, als wenn nur eine Vogelart singt. Das sind klare Hinweise darauf, dass es die Vielfalt der Vögel ist, die den Unterschied macht. Während es bei den Parkbesuchern hingegen die Anzahl ist. Aber das eine ist oft mit dem anderen verbunden.

Gibt es denn Vögel, die besonders glücklich machen?

Böhning-Gaese: Darüber wissen wir bislang noch nichts. Eine englische Studie hat danach gefragt, welche Vögel die Menschen besonders schätzen. Platz eins inne hat dabei ganz klar das Rotkehlchen mit seiner süßen, pummeligen Gestalt und seiner schönen roten Brust, dem runden Kopf und den großen Augen. Das fällt vollständig in unser Kindchen-Schema. Wir finden Rotkehlchen einfach niedlich. Arten wie Tauben oder Rabenkrähen hingegen werden als weniger angenehm eingeordnet.

Die werden tendenziell ja eher als unerfreulich im Umfeld von Ansiedlungen empfunden. Würden Sie das aus wissenschaftlicher Perspektive bestätigen?

Böhning-Gaese: Als Naturwissenschaftlerin kann ich zur Ästhetik bei der Bewertung von Vögeln nichts sagen. In Ökosystemen fungieren Arten, die Insekten fressen, ja als Schädlingsbekämpfer. Gerade jedoch Rabenkrähen sind als eine Art Gesundheits-Polizei auf den Feldern oft damit beschäftigt, Aas zu entsorgen. Wenn der Bauer zum Beispiel gemäht hat, sind hinterher viele Rabenkrähen auf den Feldern und fressen die toten Mäuse, die beim Mähen umgekommen sind.

Stimmt es denn, dass es tatsächlich immer weniger Vögel in der Natur gibt?

Böhning-Gaese: Ja. Wenn wir Agrarlandschaften wie Felder und Wiesen betrachten, haben wir in Mitteleuropa in den letzten 25 Jahren 30 Prozent der Vogelindividuen verloren. Der Rückgang ist dramatisch.

Wie kommt so ein Rückgang zustande? Was sind die Ursachen?

Böhning-Gaese: Das liegt daran, dass wir Agrarlandschaften wie Felder und Wiesen immer intensiver und mit fast industriellen Mitteln bewirtschaften. Wir setzen Düngemittel ein, bekämpfen Schädlinge oder entfernen Hecken und Bäumen, die Vögel als Rückzugsgebiete nutzen. So gibt es auch keine Wildkräuter mehr, die Samen produzieren und bei denen zum Beispiel ein Feldsperling Nahrung finden konnte. Auch die Wiesen werden gedüngt und wachsen schnell hoch, um dann schon ganz früh im Frühjahr gemäht zu werden. Dabei werden auch Kiebitznester ausgemäht, und Rebhühner verlieren ihre Verstecke vor Räubern.

Helfen die Programme der Europäischen Union zur Förderung von Ackerrandstreifen oder der Nicht-Bewirtschaftung von Flächen zum Erhalt der Biodiversität nicht?

Böhning-Gaese: Besonders das Programm der Flächenstilllegung Ende der 1980er Jahre hat sich positiv auf die Vogeldiversität ausgewirkt, sodass sich einige Bestände erholen konnten – in dem Maße, wie die damalige Überproduktion abgebaut wurde. Dann wurde das Brachen-Programm eingestellt und die Vogelzahlen sind wieder massiv zurückgegangen. Erst seit den letzten Verhandlungen gibt es wieder die Auflage, vier Prozent der Fläche jedes Betriebs der wilden Biodiversität, z.B. Vögeln zur Verfügung zu stellen. Mit dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine wurde diese Regelung jedoch wieder ausgesetzt.

Sie merken also einen Zusammenhang beim Vogelbestand und der Biodiversität mit den geopolitischen Entscheidungen?

Böhning-Gaese: Ja. Ein Bestand mit genügender genetischer Diversität und Häufigkeit kann sich allerdings ganz schnell wieder erholen. Es ist ein exponentielles Wachstum, wenn die Bedingungen stimmen.

Bei der diesjährigen „Stunde der Gartenvögel“, in denen Gartenbesitzer zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Zählen der Vögel in ihrem Garten aufgefordert und gebeten werden, wurden besonders viele Nachtigallen festgestellt. Ein Drittel mehr als üblich. Wir kann man solche Sprünge erklären?

Böhning-Gaese: Solche Aktivitäten sind toll, weil sie die Menschen dazu bringen, einmal genau hinzugucken. Es ist aber keine standardisierte Erfassung von Arten. Das Ergebnis kann also auch Zufall gewesen sein. Trends sieht man erst nach etwa zehn Jahren und richtig verlässlich sind auch eher nur die von geschulten Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern erhobenen Daten. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten beispielsweise betreibt ein ganz systematisches Monitoring, an dem sich viele ehrenamtliche Experten beteiligen, deren Artenkenntnis oft sogar akademisches Wissen übersteigt.

Hat denn auch die Artenvielfalt insgesamt abgenommen?

Böhning-Gaese: Ja, diese Rückgänge finden europaweit und auch in Nordamerika statt, wo in den letzten 50 Jahren drei Milliarden Vögeln verlorengegangen sind. Der Fokus der Untersuchungen liegt meist stärker auf den Bestandsveränderungen als auf der Diversität. Mit dem Rückgang der Bestände verschwinden auch die seltensten Arten irgendwann aus der Region, womit auch die Diversität zurückgeht.

Können denn nicht auch Vogelarten wieder zurückkommen, wie es bei den Störchen geschehen ist?

Böhning-Gaese: Doch, das kommt auch vor. Gerade die Störche sind eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes. Eigentlich waren diese so gut wie ausgestorben, bis man mit dem systematischen Schutz und der Auswilderung neuer Störche begann, bei denen auch auf marokkanische Störche zurückgegriffen wurde. Diese haben ein vermindertes Zugverhalten. Zusätzlich wurde zugefüttert. Immer mehr Störche bleiben deshalb im Winter hier oder ziehen in die Mittelmeerregion und nicht mehr nach Afrika. Insgesamt hat sich die Storchenpopulation hierzulande sehr gut erholt.

Der Mensch hat also das Verhalten der Vögel in gewisser Weise verändert und damit vielleicht auch die Auswirkungen im Biotop und auf andere Vögel beeinflusst. Muss man so etwas auch kritisch sehen? Die grünen Halsbandsittiche zum Beispiel sind wahrscheinlich entflogen oder wurden ausgesetzt. Mittlerweile bevölkern sie zu Tausenden das Rheinland.

Böhning-Gaese: Exotische Arten sind in dem Zusammenhang ein besonders interessantes Thema, weil damit auch eine starke Bewertungskomponente einhergeht. Im Naturschutz bezeichnen wir diese als Neozoen, als Einwanderer, oft als invasive Arten. Das hat für mich einen Klang, als ob diese Arten hier nicht hergehören oder hier nichts zu suchen haben. Bei den Sittichen ist es zumindest so, dass diese immer noch stark in den Städten verbleiben. Während andere Arten wie die Nilgans schon eher Einfluss nehmen, wenn sie einheimische Enten und Gänse verdrängen.

Gerade die Nilgänse sind ja eher plumpe, unansehnliche Tiere, wohingegen die Sittiche allgemein als schön empfunden werden. Spielt das Aussehen der Tiere und wie sie sich verhalten also eine Rolle bei der Bewertung von Vögeln?

Böhning-Gaese: Möglicherweise schon. Also, ich habe die Nilgans das erste Mal am Lake Naivasha in Kenia kennengelernt, wo sie sich zwischen Krokodilen und Hyänen behauptet hat. Da habe ich mir gedacht, das sind echt „taffe Enten“.

Ist die Nilgans in Deutschland inzwischen fest etabliert?

Böhning-Gaese: In einigen Städten wird sie vergrämt oder sogar geschossen, aber insgesamt werden wir sie nicht mehr loswerden. Gerade bei Vögeln spielen aber exotischen Arten zumindest bei uns keine besondere Rolle. Auf Inselökosystemen wie Hawaii hingegen können solche Einwanderungen schon eher tödlich für die einheimischen Arten enden. Dort haben die exotischen Arten etwa die Vogelmalaria eingeschleppt, wogegen die örtlichen Vögel weniger robust sind. Das hat zu einem massiven Rückgang der endemischen Arten geführt.

Sollte man also die einheimischen Vögel besser vor invasiven Arten schützen, indem man sie verdrängt oder ein Niederlassen nicht zulässt?

Böhning-Gaese: In besonders empfindlichen Gegenden, wie in Australien, wird das zum Teil versucht, wenn auch nicht immer erfolgreich. Gerade bei Vögeln kann man so etwas nur schwer aufhalten. Doch das Gefährliche finde ich eher, dass das Thema die Wahrnehmung verzerrt. Wenn wir tausende von Euro für die Vergrämung der Nilgänse einsetzen und dies medial verbreitet wird, wird die Aufmerksamkeit weg gelenkt von der Agrarlandschaft. Denn da finden die wirklich dramatischen Veränderungen statt. Beispielsweise um Frankfurt herum gibt es kaum noch Feldlerchen, Rebhühner oder Kiebitze.

Es geht also um die Frage, wie man die Brutgebiete besser schützt und nicht darum, ob die Vögel ausreichend Nahrung finden können.

Böhning-Gaese: Es geht um beides. Die Vögel brauchen sowohl die Hecken, um ihre Nester zu bauen, als auch Insekten als Nahrung und zur Aufzucht der Jungen. Das Insektensterben ist ebenfalls ein andauerndes Thema. Schwierig wird es besonders, wenn es für die Vögel darum geht, durch den Winter zu kommen. Auf den Stoppelfeldern von früher ließ sich da ganz leicht Nahrung finden. Heute sind die Felder im August abgeerntet, werden danach frisch eingesät und die jungen Pflänzchen mit Glyphosat behandelt. Da findet im Winter kein Vogel mehr liegengebliebene Samen von Getreide oder Ackerwildkräutern zum Fressen, während der Ernteertrag natürlich hoch ist. So bleibt am Ende nur noch Nahrung für den Menschen und nichts mehr für die Vögel.

Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Böhning-Gaese: Eigentlich könnte sich der Klimawandel bei uns positiv auswirken, etwa wenn sich dadurch die Brutzeit der Vögel verlängert. Das Problem ist jedoch, dass die Sommer immer trockener werden und damit auch das Nahrungsangebot für viele Vögel abnimmt.

Protokolliert und für eine bessere Lesbarkeit leicht redigiert von Christopher Trinks.

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