Ifo-Präsident zu Energie-Embargo „Es wäre ein massiver Wirtschaftseinbruch“
Interview | Düsseldorf · Was passiert, wenn aus Russland kein Gas mehr nach Deutschland kommt - oder Deutschland von sich aus ein komplettes Energie-Embargo beschließt? Einschätzungen von Ifo-Präsident Clemens Fuest nach dem Lieferstopp für Polen und Bulgarien.
Russland hat seine Erdgaslieferungen über die Jamal-Pipeline an Polen eingestellt. Auch Kostenpflichtiger Inhalt Bulgarien meldet einen russischen Lieferstopp. Über die Pipeline Nordstream 1 fließt weiter russisches Gas nach Deutschland.
Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts und zu Gast in der aktuellen Folge von „Tonspur Wissen“, dem Wissens-Podcast von Rheinischer Post und Leibniz-Gemeinschaft.
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Polen und Bulgarien bekommen kein Gas mehr aus Russland. In Europa gibt es die Diskussion darüber, ob das anderen Ländern demnächst auch blüht. Was denken Sie?
Clemens Fuest Ich denke nicht, dass Russland die Lieferung vollständig stoppen will, aber der Druck auf die EU, der Druck auf Deutschland steigt, jetzt zu einem kompletten Embargo überzugehen. Weil jetzt einige Länder abgeschnitten sind und auch deshalb, weil das Ende der Lieferung an Polen und Bulgarien den Preis jetzt noch mal stark in die Höhe treibt. Das bedeutet, dass Russland höhere Einnahmen erzielt für geringere Lieferungen. Das geht schon länger so. Und das läuft dem zuwider, was die EU will. Man will ja die Einnahmen reduzieren. Insofern wird der Druck zunehmen. Und ich könnte mir vorstellen, dass die EU sich jetzt schneller auf ein Embargo zu bewegt.
Das heißt: Die Sanktionen gegen Russland haben gar nicht so gewirkt, wie man sich das vorgestellt hat. Man hat ja gedacht, dass die russische Währung und die Wirtschaft ganz schnell zusammenbrechen. Beides scheint nicht der Fall zu sein.
Fuest So negativ würde ich das nicht sehen. Die Sanktionen haben ein wichtiges Ziel erreicht. Die gesamte Bevölkerung in Russland spürt, dass ein großes Problem vorliegt. Wir haben landesweit erhebliche Preissteigerungen. Es gibt auch Knappheit von Gütern und Versorgungsengpässe hier und da. Aber es ist richtig, der Rubeleinbruch ist fast vollständig wieder verschwunden, der Wechselkurs ist ungefähr so hoch wie vorher.
Worauf kommt es jetzt an?
Fuest Interessant ist zu sehen, wie sich die russischen Importe entwickeln. Es könnte durchaus sein, dass sie gesunken sind und deshalb auch weniger Rubel auf den Markt kommen. Das würde dann den Wechselkurs stabilisieren. Leider haben wir keine guten Daten über die Importe. Russland profitiert nicht per se davon, dass es Gas exportiert. Auch nicht davon, dass es im Ausland Währungsreserven akkumuliert. Sondern es geht darum, was man mit diesen Währungsreserven anfangen kann. Leider wissen wir darüber nicht viel. Die ersten Daten über russische Exporte, die wir haben, zeigen allerdings keinen großen Rückgang. Das spricht schon dafür, dass die Sanktionen nicht so stark wirken, wie wir es gerne hätten.
Fuest Es gibt viele Abnehmer und es gibt auch viele Lieferanten von Gütern. Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, ist schwierig. Russland könnte sich ja auch verpflichten, Dinge in der Zukunft zu liefern, ist sogar kreditwürdig unter Umständen. Es ist sehr schwierig, dieses Land zu sanktionieren.
Und was bedeutet das Embargo für uns?
Fuest Für uns birgt ein Energie-Embargo erhebliche Risiken. Kohle kann man ziemlich leicht ersetzen, bei Öl ist es etwas schwieriger, weil die Mengen so groß sind. Aber auch das klappt ganz gut. Bei Gas wird es kritisch. Wir müssen damit rechnen, dass wir – vor allem im nächsten Winter – erhebliche Probleme bekommen. Wie die aussehen, ist schwer vorherzusagen, weil wir keine Erfahrung haben mit einem flächendeckenden Gas-Embargo. Aber was wir so an Untersuchungen haben, würde ich so lesen: Es könnte einen Wirtschaftseinbruch in der Größenordnung von 2020 geben, nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Das kann man abfangen, wie wir gesehen haben. Aber es ist schon ein massiver Einbruch.
Das wären so ungefähr minus fünf Prozent…
Fuest Genau. Das sagen zumindest Schätzungen der Gemeinschaftsdiagnose, an der auch das Ifo-Institut beteiligt ist. Wir würden also in negative Wachstumsraten rutschen.
Was bedeutet das denn für eine Volkswirtschaft, die gerade eine wirklich tiefe Rezession ganz gut überstanden hat, wenn es jetzt quasi selbst gemacht in die nächste geht?
Fuest Wir fangen ja solche Krisen ab. Der Teil, der weiter läuft, stützt den Rest. Bei der Coronakrise war es so: Bestimmte Sektoren wie Reise und Gastronomie haben nicht mehr funktioniert. Der Rest der Wirtschaft, wie zum Beispiel die Industrie, hat die geschlossenen Sektoren unterstützt. Diesmal wäre es umgekehrt. Wir würden wohl Kurzarbeit bekommen, zum Beispiel in der Chemieindustrie. Die Hoffnung ist, dass die Dienstleistungsindustrie nun die Konjunktur tragen würde, sofern die Coronapandemie überwunden ist. Der Staat nimmt Kredite auf und unterstützt die Sektoren, die geschlossen sind. Das würde noch mal so gehen.
Was wären die Konsequenzen?
Fuest Natürlich würde die Staatsverschuldung noch mal in die Höhe gehen. Und die Frage stellt sich: Wie wird das mittelfristig getragen? Deutschland hat mehr Reserven als andere Länder. Italien wäre hart getroffen, weil es viel höher verschuldet und auch sehr abhängig von russischem Gas ist. Man muss also aufpassen, was an den Finanzmärkten passiert. Wie werden die Märkte das beurteilen, wenn ein Land wie Italien noch mal große Kredite aufnehmen muss?
Könnte das bedeuten, dass auf diese Gaskrise eine neue Eurokrise folgt?
Fuest Man kann das jedenfalls nicht ausschließen. Ich würde davon ausgehen, dass die Politik diesmal – anders als in der Eurokrise, die 2010 begann – früh eingreifen würde. Das heißt aber de facto, dass der Rest des Euroraumes Italien unterstützen und für Italien haften würde. Die Europäische Zentralbank hat so etwas auch schon angekündigt, indem sie gesagt hat: Wenn Anleihen auslaufen, würde sie bei Wiederanlage vielleicht die Struktur verändern. Mit anderen Worten: Wenn deutsche und niederländische Staatsanleihen auslaufen, dann wird man vielleicht stattdessen griechische und italienische Staatsanleihen kaufen. Eine gewisse Unterstützung ist also vorgesehen.
Die Fragen stellte Ursula Weidenfeld im Podcast Tonspur Wissen. Das Interview protokolliert und für bessere Lesbarkeit leicht redigiert hat Michael Höing.