Katholische Kirche ehrt erzkonservativen Papst Pius IX. Zweifelhafte Seligsprechung

Rom (AP). Während des längsten Pontifikats der Geschichte versuchte Papst Pius IX., die römisch-katholische Kirche gegen eine sich wandelnde Welt abzuschotten: Er verurteilte die Rede- und Religionsfreiheit, schuf eines der letzten jüdischen Gettos in Europa und veranlasste die Entführung eines jüdischen Jungen, um ihn als Katholiken zu erziehen. Als Pius IX. 1878 starb, wollten italienische Liberale seine Leiche aus Rache in den Tiber werfen.

Am kommenden Sonntag wird Pius IX. (1846-1878) zusammen mit Papst Johannes XXIII. (1958-1963) von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen, der letzte Schritt vor einer möglichen Heiligsprechung. Vergeblich haben jüdische Organisationen gegen die Seligsprechung Pius' protestiert. Selbst viele Katholiken kritisieren das Vorhaben, den unnachgiebigen Traditionalisten Pius zusammen mit dem weltoffenen Reformer Johannes selig zu sprechen.

Das Vorhaben der Kirche gehe zu weit, monierte in Großbritannien auch das angesehene katholische Wochenblatt "The Tablet". Die Ehrung Pius' sei das Werk einer kleinen Gruppe von Ultrakonservativen. "Man kann es als politischen Schachzug sehen, um für die Seligsprechung von Johannes XXIII. ein konservatives Gegengewicht zu schaffen", schrieb die Zeitung.

"Ich kann es wirklich nicht verstehen", sagte Elena Mortara, eine Nachfahrin der Familie des entführten jüdischen Jungen Edgardo Mortara, den die päpstliche Polizei 1858 den Armen seines weinenden Vaters entriss. Pius habe so viel Leid verursacht, sagte Mortara der italienischen religiösen Monatszeitschrift "Confronti". "Die Wunde des 'Falles Mortara' schmerzt noch immer in meiner Familie und in unserer ganzen Gemeinde."

Die Kirche nahm den sechsjährigen Edgardo in Bologna seiner Familie weg. Zuvor hatte ein katholisches Hausmädchen behauptet, ihn getauft zu haben, weil er todkrank schien. Edgardo wuchs als Kirchenmündel unter der Obhut von Pius auf und wurde Priester.

"Selbst im 19. Jahrhundert wurde die Entführung von Mortara schockiert verurteilt", schrieb das amerikanische Jüdische Komitee für Interreligiöse Fragen in einem Protestbrief an den Vatikan.

Für die Anhänger von Pius rechtfertigte die Taufe die Entführung des Jungen. "Die Gegner beurteilen mit der heutigen Mentalität die Tatsachen vor 150 Jahren", sagt Monsignor Carlo Liberati, der die Seligsprechung von Pius mitbetrieb.

Papst Johannes Paul II., das derzeitige Oberhaupt der katholischen Kirch, verweist auf die damalige "schwierige" Zeit. Während des Pontifikates Pius' wurde der Kirchenstaat abgeschafft. Dennoch habe Pius die Kirche intakt durch die Wirren der Zeit geführt.

Der aus einer adeligen Familie stammende Pius schuf in Rom das letzte jüdische Getto Europas vor der Zeit des Nationalsozialismus. Erst die Auflösung des Kirchenstaates im Jahr 1870 befreite die Juden. 1864 veröffentlichte Pius den "Syllabulus Errorum", eine Auflistung von 80 vermeintlichen Irrtümern der Moderne in Politik, Kultur und Wissenschaft. Darin verurteilte er Rede- und Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche.

Pius verkündete auch die Dogmen von der päpstlichen Unfehlbarkeit und der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria. Schon damals stieß das Unfehlbarkeitsdogma auch in der Kirche auf erbitterten Protest und führte zur Abspaltung der Alt-Katholiken.

Ursprünglich Seligsprechung von Pius XII. geplant

Viele Punkte des "Syllabulus Errorum" wurden erst von Johannes XXIII. durch das Zweite Vatikanische Konzil verändert, unter anderem die Lesung der Messen in der jeweiligen Landessprache statt in Latein. Damit machte sich Johannes in konservativen Kirchenkreisen unbeliebt. Gleichwohl wird seine Seligsprechung in Italien gefeiert. Der aus einer einfachen Familie stammende Johannes wird hier wegen seiner freundlichen Art einfach "der gute Papst" genannt.

Ironischerweise sollte die recht zügige Seligsprechung des 1963 verstorbenen liberalen Johannes mit der eines anderen konservativen Pius aufgewogen werden: mit der von Pius XII., in dessen Pontifikat der Zweite Weltkrieg fiel. Aber jüdische Organisationen protestierten und warfen Pius XII. vor, während des Holocaust geschwiegen zu haben. Daraufhin nahm die Kirche die Seligsprechung leise von der Tagesordnung und setzte Pius IX. ein.

(RPO Archiv)
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