Gevelsberg Zwei Wochen leben wie Ötzi

Gevelsberg · Ausgerüstet wie vor 7000 Jahren wandern drei Steinzeitforscher quer durch NRW. Mit dem "Ötzi-Walk" wollen sie testen, ob der moderne Mensch seinen Alltag ohne Komfort und Technik meistern kann.

Hauptbahnhof Gevelsberg, nahe Wuppertal: Zwischenstopp für die Steinzeit-Reisegruppe auf dem "Ötzi-Walk". Einige der Schulkinder, Geschäftsleute und Senioren, die an der Bushaltestelle warten, runzeln die Stirn, als sich plötzlich drei Wanderer in Ziegenfell, Leinenhose und Rindslederschuhen auf den Hockern vor dem Kiosk niederlassen und ihre Rucksack-ähnlichen Holzkonstrukte ablegen. "Diese Blicke kennen wir schon gut", sagt Marco Hocke. "Die meisten sind neugierig, fragen nach, warum wir so angezogen sind und was wir machen." Der Archäologe, seine Frau Veronika und sein Freund Lukas Heinen nehmen sich dann auch die Zeit, das Reiseexperiment zu erklären.

Waschen im Bach, spartanisches Essen und Kleidung aus Tierfell - was zunächst nach den Torturen gängiger TV-Formate klingt, ist für die drei Wanderer ein ernster Test. Sie wollen herausfinden, wie unsere Vorfahren in der Jungsteinzeit gelebt haben. Namensgeber des "Ötzi-Walks" ist die Jahrtausende alte Steinzeitmumie, deren Kleidung und Werkzeug von den Wanderern genau rekonstruiert und neu gefertigt wurden. Mit dieser prähistorischen Ausrüstung sind sie derzeit auf Tour durch NRW, von Detmold über Herne bis nach Bonn - 20 Kilometer Fußmarsch pro Tag.

Der "Ötzi-Walk" hat drei Etappen, jeweils an den Ausstellungsorten der Archäologischen Landesausstellung NRW, die ab dem 5. September in Bonn und anschließend in Dortmund und Herne gastiert. Dort werden dann historische Artefakte zu sehen sein, die für den "Ötzi-Walk" per Hand nachgearbeitet wurden. "An unserer Ausrüstung haben wir etwa eineinhalb Monate gearbeitet", sagt Lukas Heinen und geht in die kleine Bahnhofskneipe. Dort möchte er Handy und den Tablet-Computer aufladen. "Ein bisschen Technik haben wir dabei, um den Reiseweg zu dokumentieren und mit den Stationen in Kontakt zu bleiben", sagt er. Eine kleine Kamera ist auch im Gepäck - auf bewegte Bilder von der Steinzeittour möchte die Gruppe nicht verzichten.

Gegessen wird mit Holzbesteck und aus kleinen Holzschalen. Und was kommt auf den Tisch? "Gerste, Ziegenkäse, etwas Brot und Gemüse", sagt Heinen. "Das ist zwar etwas einseitig für zwei Wochen, reicht aber völlig aus für die Tour. Da merkt man mal, wie viel unnötigen Kram man sonst im Alltag zu sich nimmt." In ländlicheren Regionen kommt das Trinkwasser aus der Quelle oder aus dem Bach. "In städtischen Abschnitten ist das Wasser jedoch zu schmutzig", sagt Marco Hocke. "Dann nehmen wir gefüllte Wasserflaschen." Auch beim Zähneputzen machen die Wanderer eine Ausnahme. "Eine Zahnbürste muss abends schon sein. Da geht es ja auch um die Gesundheit", sagt Veronika Hocke. Geschlafen wird anschließend unter freiem Himmel - das Bett: eine Kombination aus Schafsfell und Leinensack. Die morgendliche Dusche findet im Fluss statt - wenn denn einer in der Gegend ist. "Es ist eben ein Härtetest", sagt Marco Hocke, "für uns selbst und unsere Ausrüstung." Bis jetzt sei alles gut gegangen. "Wenn man seine Klamotten und Werkzeuge selbst schnitzt und näht, kann man sie viel leichter reparieren, wenn sie kaputt sind. Bei meinen industriell gefertigten Wanderstiefeln wäre das nicht so einfach." Seine Frau, von Beruf Biologin, ergänzt: "Es geht uns darum, einen stärkeren Bezug zu den Dingen herzustellen, die uns umgeben." Einfach an der Natur vorbeigehen, sollte der Mensch auch im 21. Jahrhundert nicht. "Wir sind ein Teil davon. Das können wir vom Ötzi noch lernen." Einige Spuren hat die kilometerlange Wanderung jedoch bereits hinterlassen. Die Leinenhosen der Wanderer haben dunkle Flecken und kleine Löcher, das Leder der Schuhe ist dunkel, durchnässt vom Regenwasser.

Nach einer halben Stunde Pause schultert die Reisegruppe wieder ihre Holz-Rucksäcke. Bei Nieselregen und Wind geht es weiter, möglichst weit weg von den Straßen, Richtung Wald - wenn schon wandern wie der Ötzi, dann richtig.

(mro)
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