Von Kongress ausgeladen Warum Philosophen den heutigen Ansprüchen nicht gerecht werden können

Meinung · Ein wichtiger Berufsverband hat den bekannten Philosophen Georg Meggle ausgeladen. Die Anforderungen, die heutzutage an Wissenschaftler und Philosophen gestellt werden, haben sich verändert. Warum das nicht gut gehen kann.

Eine Büste des griechischen Philosophen Platon steht im bayerischen Landtag beim Digitalisierungskongress "Bayern 3.0" neben einem Hinweisschild des Kongresses (Archivbild).

Eine Büste des griechischen Philosophen Platon steht im bayerischen Landtag beim Digitalisierungskongress "Bayern 3.0" neben einem Hinweisschild des Kongresses (Archivbild).

Foto: dpa

Dem Humor geht es nicht gut in jüngster Zeit. Gleichzeitig wird immer mehr Tugendhaftigkeit für immer mehr Bereiche des Lebens gefordert. Zuerst von den Politikern. Dann von den Künstlern. Früher wollte man sie möglichst wild, Drogen und zertrümmerte Hotelzimmer waren ein Muss. Wenn heutzutage jemand aus einer Provinz-Band mit Dreadlocks auftritt, ist er erledigt.

Jetzt hat es auch die Wissenschaft und die Philosophie erwischt. Hier verlangt man neuerdings wissenschaftliche Rationalität und Exaktheit nicht nur bei ihren wissenschaftlichen Äußerungen. Sondern auch von dem, was sie twittern und unterschreiben. Das kann nicht gutgehen. Niemand ist gleichmäßig begabt, wie alle Eltern wissen. Ein mathematisch Hochbegabter kann Probleme mit der Sprache haben. Und umgekehrt. Ganz zu schweigen vom politischen Durchblick. Daher sollte man eine Wissenschaftlerin auch nicht zu fachfremden Themen befragen. Die allumfassend rationale und kompetente Person gibt es nicht, wie der Gesetzgeber weiß: Unser Recht auf Meinungsfreiheit erstreckt sich auch auf Blödsinn.

Gerade wurde der international geschätzte Philosoph Georg Meggle vom Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP) ausgeladen. Er hätte über Wissenschaftsfreiheit mitdiskutieren sollen. Für dieses Thema ist er qualifiziert wie kein anderer: Meggle setzt sich schon seit 30 Jahren für die freie Debatte in der Philosophie ein. Aber kurz vor dem Kongress entdeckte man, dass er 2021 als „Ehrenpräsident der GAP“ den neuen „Krefelder Appell“ unterzeichnet hatte. Ein wirres querdenkerisches Anti-Nato-Machwerk, meilenweit entfernt von den methodischen Ansprüchen der Fachphilosophie. Das wäre guter Stoff zum Tratsch und für Witze – aber Anlass für eine öffentliche Zurechtweisung? Vor 20 Jahren hätte man nicht im Traum an eine Ausladung gedacht. In diesem lange vergangenen Zeitalter nahm man es mit Humor, dass Menschen auch Blödsinn verzapfen. Und dass auch Wissenschaftler Menschen sind.

Unsere Autorin ist Philosophie-Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektionsbiologin Gabriele Pradel ab.

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