Kolumne Wissensdrang Schwarz-Weiß-Denken ist moralisch gefährlich
Meinung | Düsseldorf · In der vergangenen Woche gab es wieder einmal eine traurige Nachricht zum Zustand der deutschen Diskussionskultur: Der Tagesschausprecher Konstantin Schreiber bekundete nach Drohungen und einem Tortenangriff, sich nicht mehr öffentlich zum Thema Islam zu äußern.
Wieder einmal wird eine differenzierte Stimme von politischen Moralisten zum Schweigen gebracht, die alle Diskussionsbeiträge in gut und böse einteilen und es sich zur heiligen Pflicht machen, die Bösen zum Schweigen zu bringen. Dabei bedienten sie sich mit der Waffe des Tortenwurfs ausgerechnet eines Elements der Kunstform Komödie, die antimoralistisch angelegt ist. In Preston Sturges' Die Falschspielerin wird der Protagonist schon zu Beginn von seiner Geliebten gewarnt: „Du hast keine Ahnung von Frauen. Die besten sind nicht so gut, wie du denkst, und die schlechtesten sind gar nicht so schlecht.“
Zur gleichen Zeit, als die meisten Deutschen sich Filme wie „Jud Süß“ ansahen, entwickelte sich in den USA die Kunstform der Screwballkomödie als kulturelles Gegengift gegen den Fanatismus. „Screwball“ bezeichnet im Baseballjargon einen Ball mit unberechenbarer Flugbahn. In der Screwballkomödie ist die moralische Flugbahn unberechenbar. Sie beginnt damit, dass ein Ehepartner oder Verliebter am anderen einen moralischen Makel entdeckt: Er entpuppt sich als Alkoholiker (Die Nacht vor der Hochzeit), als unverbesserlicher Sexist (Ehekrieg) als Falschspielerin (Die Falschspielerin). Nach der Trennung im Geiste der moralischen Entrüstung wendet man sich einem moralisch perfekten Partner zu. Doch der Versuch, mit dem idealen Partner das Leben zu einer Performance moralischer Anständigkeit zu machen, kann nur scheitern. Im Film auf komische und unterhaltsame Weise. Zugleich feiern die Komödien das geistige Erwachsenwerden. Dort steht zum Glück auch stets der nichtideale, aber sympathische und kluge Ex bereit - in der politischen Realität kann man sich darauf leider nicht verlassen.
Unsere Autorin ist Philosophie-Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Pflanzenbiologin Petra Bauer und der Pharmazeutin Nicole Teusch ab.

