Wissensdrang Hexenjagd auf Wissenschaftlerinnen

Aachen · Der Hasser macht nur einen geringen Prozentsatz unserer Gesellschaft aus, doch der Schaden, den er anrichtet, ist gravierend. Deutsche Wutbürger fantasieren von der Rückkehr ins Mittelalter.

Symbolbild.

Symbolbild.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Anfang November fand in Köln ein Symposium statt, das sich mit den Lehren aus der Covid-19-Pandemie beschäftigte. Unter den geladenen Gästen befanden sich Mitglieder des Expertenrats und Wissenschaffende, die sich während der Pandemie der gesellschaftlichen Aufklärung gewidmet haben. Ein Thema war der Widerstand bestimmter Bevölkerungsgruppen gegen die implementierten Schutzmaßnahmen und deren Hass auf jene Wissenschaffenden, die sich für den Infektionsschutz einzusetzen wagten. In der Anonymität des Netzes war der Hasser erfinderisch, wenn es um das Töten von Wissenschaffenden ging. Das angedrohte Tötungspotpourri reichte vom Erhängen über das Enthaupten bis zum Tätowieren mit der Bohrmaschine.

Eine Tötungsart war jedoch den Wissenschaftlerinnen vorbehalten: das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Während der Hexenverfolgung des 16. Jahrhunderts diente der Scheiterhaufen dazu, eigenständige, freigeistige Frauen zu vernichten. Sie entsprachen nicht dem gängigen Frauenbild der damaligen Zeit und waren daher offensichtlich vom Teufel besessen. Die Angst vor dem Verbrennen hielt andere Frauen zudem davon ab aufzubegehren.

500 Jahre später ist der Scheiterhaufen immer noch ein Mittel des Terrors gegen die Frau und wird nun benutzt, um Wissenschaftlerinnen mundtot zu machen. Ein einziger Impfgegner protestierte vor dem Kölner Konferenzgebäude und verschwand zügig, nachdem er erkannt hatte, dass seine Kumpel ihn allein gelassen hatten. Der deutsche Wutbürger ist inzwischen weitergezogen und hat sich andere Hassobjekte gesucht. Der Hasser macht nur einen geringen Prozentsatz unserer Gesellschaft aus, doch der Schaden, den er anrichtet, ist gravierend. In der nächsten Krise werden sich Expertinnen gründlich überlegen, ob sie sich tatsächlich für die gesellschaftliche Aufklärung einsetzen wollen, denn sie laufen Gefahr, Opfer der modernen Hexenjagd zu werden. Gewonnen hat dann der deutsche Hasser. Was folgt, ist die Rückkehr ins Mittelalter.

Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-Sibylla Lotter ab.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort