Markus Lüpertz "Wir alle sind göttliche Gesellen"

Der 75-jährige Maler und Bildhauer fürchtet die Rückkehr einer Kriegslüsternheit, hält die Mittelmäßigkeit für das Gefährlichste von allem und besingt in seinem neuen Buch Arkadien.

Er zählt zu Deutschlands bekanntesten Bildhauern, Malern und Grafikern und war über 20 Jahre Rektor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Der 75-Jährige dichtet aber auch. Seinen jüngsten Band über "Arkadien" stellte er jetzt im Düsseldorfer Heine Haus vor. Wir trafen ihn vorab in seinem Atelier.

Ihre Gedichte lesen sich so, als seien diese von einem Gedankenstrom regelrecht getragen; erscheinen fast wie im Rausch geschrieben.

Lüpertz Das kann man durchaus so sagen. Sie entstehen in einer gewissen Zügigkeit. Das Buch ist für mich wie ein Sog.

Überprüfen Sie Ihre Gedichte auch durchs laute Vorlesen?

Lüpertz Ich lese sie sogar laut vor, wenn ich noch daran arbeite. Und merke erst dann, ob sie auch funktionieren. Ich habe aber auch meine Freunde als Gegenleser, mit denen ich dann über meine Texte diskutiere. Schließlich bin ich kein Berufsdichter und möchte mich nicht blamieren. Zumal ich ja tatsächlich die Poesie auch angreife. Denn was ich momentan an Gedichten lese, genügt mir einfach nicht. Viele ziehen sich zu sehr ins Pädagogische, Politische oder ins Unglück zurück. Dagegen schenkt uns die "blaue Blume Poesie", die mit einer gewissen Pathetik, Hingabe und Dramatik einhergeht, einen Moment der Besinnung. Diese Poesie suche ich und will ich.

Finden Sie eine solche Poesie auch bei anderen Dichtern?

Lüpertz Ich habe einen wunderbaren Freund, der ist Taxifahrer und Dichter. Der bringt mir jede Woche sechs bis zehn Bücher. Damit bin ich praktisch stets auf dem Laufenden.

Sind Sie ein Romantiker? Oder gilt der Begriff heute nicht mehr?

Lüpertz Ich bin eher ein Emphatiker, ein Bohème.

Aber diesen Typus und diese Geste gibt es heute doch gar nicht mehr!

Lüpertz Der ist aus der Mode gekommen, weil die Welt geiziger geworden ist. Bohème hat etwas mit angeborener Verschwendung zu tun - in allem. Ich halte nichts geheim, wenn ich etwas mache, ich habe keine Angst, dass mir irgendwelche Ideen gestohlen werden, keine Angst, dass mir irgendetwas abhandenkommt, ich habe auch keine Angst, wenn ich mal kein Geld habe. Insofern bin ich ein begnadeter Bohème - mit aller Selbstkritik und aller Heiterkeit mit mir selbst.

Sie leisten es sich ja auch, ohne Handy und Internetnutzung durch die Welt zu gehen ...

Lüpertz ... mit den Handys komme ich einfach nicht zurecht. Das ist also keine Kritik an den Dingern, obwohl sie mir fürchterlich auf den Wecker gehen. Wenn ich Leute mit ihren Handys permanent agieren sehe, denke ich immer: Haben die sonst nichts zu tun? Handys kommen einfach in meinem Leben nicht vor, weil ich sie nicht mag. Aber ich bin kein Mensch, der sich bemüht, dauernd die Welt zu kritisieren. Ich will einfach kein Misanthrop werden und rumlaufen wie alle alten Männer, die sagen: Früher war alles besser - was übrigens nicht stimmt. Man konnte früher allenfalls besser damit fertig werden.

Wann waren Sie zu zuletzt in diesem mythischen Arkadien?

Lüpertz Ich komme gerade daher. Ich habe nämlich eine wunderschöne Skulptur fertig bekommen. Deswegen bin heute ein wenig übermütig, leichtsinnig und fröhlich. Diese Skulptur habe ich schon einmal ganz zusammengeschlagen. Wenn Sie mich an dem Abend erwischt hätten, wäre unser Gespräch sicherlich anders verlaufen. Heute aber bin ich leichtsinnigster Arkadier.

Fühlen Sie dann so etwas wie Melancholie, wenn ein Werk nach einer intensiven Auseinandersetzung fertig ist?

Lüpertz Melancholie ist ohnehin in meiner slawischen Seele begründet. Aber das ist eine Melancholie, die durch eine unbändige Sehnsucht nach Heiterkeit immer wieder aufgerissen wird. Ich will den Leuten nicht mit schlechter Laune auf den Wecker gehen. Das ist meine Höflichkeit an die Welt. Wenn ich in der Öffentlichkeit bin, lasse ich mich nicht gehen.

Muss ein Dichter im Moment des Schreibens auch eine Art Gott sein?

Lüpertz Das ist eine grundsätzliche Frage nach dem Künstler überhaupt. Wir alle sind göttliche Gesellen und den Engeln nahe. Die Künstler haben Gott geholfen, die Welt zu schaffen, wir sind als Maler beauftragt, den Menschen die Welt zu zeigen oder zu erklären. Ohne einen Sonnenuntergang von Turner würden die Menschen Sonnenuntergänge in ihrer Fülle nie erleben können. Mit dem Bild entdecken sie als Betrachter andere Möglichkeiten, der Welt zu begegnen.

Empfinden Sie sich dann im Augenblick des Schaffens als einzigen Künstler?

Lüpertz Nein, aber ich habe, wenn ich male, das Gefühl, die Welt hält den Atem an - weil der Meister arbeitet. Das ist eine Hybris, die mich mein ganzes Leben begleitet. Ich kann es nicht ändern.

Gibt es auch ein Arkadien für Flüchtlinge?

Lüpertz Das ist eine Frage, die liegt nicht in meiner Kunst, sondern in meinem staatsbürgerlichen Verständnis. Ich bin ein Bürger dieses Landes und fühle die Verpflichtung, diesen Leuten nicht als Künstler, sondern als Mensch gegenüberzutreten. Ich versuche zu helfen, wo es geht - ohne die Entwicklung jetzt blauäugig zu sehen. In der Kunst dürfte dieses Thema vielleicht erst in 100 Jahren verarbeitet werden. In der Malerei und der bildenden Kunst geht es darum, in der Zeit zeitlos zu sein. Die einzige moralische Verantwortung der Kunst liegt in ihrer Qualität. Das ist als Maler und Bildhauer die einzige Verpflichtung, die man hat: Man muss immer die höchste Qualität anstreben. Darum gibt es in der Kunst auch nichts Neues, es gibt immer nur neue Künstler. Das muss man kunsthistorisch erst einmal verdauen. Denn die Malerei ist immer gleich: Pinsel, Farbe, Leinwand - mehr ist da nicht.

Noch einmal zur Tagesaktualität: Fühlen Sie sich vor dem Hintergrund des jüngsten Terrors bedroht?

Lüpertz Nein, das nicht. Es ist noch sehr unwahrscheinlich, von einem Terroristen wirklich ermordet zu werden. Noch. Aber ich glaube, dass eine allgemeine Kriegslüsternheit besteht. Und vor der habe ich Angst. Ich glaube, die Leute sind wieder so weit. Nach 70 Jahren Frieden in Europa drehen die Menschen völlig durch. Die Menschen wollen doch nur noch Ferien und Unterhaltung. Sie amüsieren sich nicht, sie grölen. Das Phänomen unserer Zeit ist: Die Leute wissen den Frieden nicht wirklich mit Leben zu erfüllen. Wir sind ja die erste Generation, die nicht in den Krieg ziehen und nicht die furchtbaren Erfahrungen machen musste. Und es verlangt eine außerordentliche Intelligenz und den Drang zur Selbstverwirklichung, um friedlich zu bleiben. Aktuell wollen die Leute unterhalten werden, sie gieren geradezu nach Animation und den Produkten der Unterhaltungsindustrie. Das ist übel. Das ist keine Gesellschaft mehr, die etwas fordert - etwa von den Künstlern, große Kunst zu bekommen. Stattdessen wünschen sie sich irgendeinen Schnickschnack. Und das tötet jeden Sinn. Den Frieden muss man leben. Ich glaube aber, die Leute wollen heute weltweit den Konflikt. Wir haben die Demokratie erlernt, aber wir haben es nicht geschafft, sie auch zu leben und mit ihr umzugehen. Ich bilde mir ein, dass dazu die Bildung das Entscheidende ist: die Leidenschaft für Wissen, die Leidenschaft für Bücher, die Leidenschaft für Zeit, die nicht kommerziellen Interessen dient. Das hat mit Erfüllung zu tun.

Gehört dazu auch die Sorge oder Angst vor dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump?

Lüpertz Eine solche Beurteilung steht mir nicht zu. Trump ist sicherlich ein Popanz - jetzt im Wahlkampf. Aber sollte er Präsident werden, kann er doch gar nichts anderes machen als das, was alle anderen Präsidenten vor ihm auch gemacht haben. Vor Trump habe ich jedenfalls nicht die geringste Angst. Aber wenn in der Politik solche Figuren nicht mehr auftauchen, dann wird sie selbst fragwürdig. Je schräger die Figuren sind, desto weniger gefährlich sind sie. Das Gefährlichste von allem ist die Mittelmäßigkeit.

(los)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort