Düsseldorf Wie das Theater am Syrienkrieg scheitert

Düsseldorf · Das neue Stück "Kuss" von Guillermo Calderón handelt von der Unmöglichkeit, sich in einen Krieg hineinzuversetzen.

Stell Dir vor, es ist Krieg, aber im Theater ist davon nicht die Rede. Stattdessen sitzt da der nervöse Youssif am Küchentisch von Hadeel, reißt sich endlich die Mütze vom Kopf und gesteht ihr seine Liebe. "Halt die Klappe!", erwidert die. Sie will doch Ahmed heiraten, Youssifs besten Freund. Und der kommt gleich zum Fernsehabend, genau wie Bana, Youssifs Lebensgefährtin. Und nun geht alles kaputt. Und jedes Wort ist Verrat. Und es wird geweint und geflucht und sogar gestorben.

Zwei befreundete Pärchen und eine Liebe, die querschlägt, die wie ein Schuss aus dem Hinterhalt die gewohnten Bindungen, Treue, Loyalität, Freundschaft zerstört – der Chilene Guillermos Calderón macht aus diesem Stoff kurzweiliges Trivialtheater. In der möblierten Filmkulisse einer Seifenoper lässt er vier Schauspieler in pathetischem Ton banale Sätze über die Liebe sprechen und die Verhältnisse immer wieder kippen. Denn Hadeel fühlt sich ja doch hingezogen zu diesem verdrucksten Youssif. Aber dass vier Menschen in den Abgrund stürzen, das will sie nun auch wieder nicht.

Mit komischer Übertreibung macht Calderón aus der tragischen Konstellation der "Wahlverwandtschaften" ein schwarzhumoriges Melodram. Und als das Publikum ihm endgültig auf diese Fährte folgt und sich amüsiert über die kreuzweisen Schuldzuweisungen und Liebesbekenntnisse, da hält der Autor den Abend an, rückt die harmlose Geschichte in ein neues Licht. Und auf einmal erlebt der Zuschauer vier Schauspieler, die erkennen müssen, dass der Krieg an ihrem Melodram mitgeschrieben hat, dass sie seine Handschrift nur nicht verstanden. Und plötzlich handelt Calderóns "Kuss" von westlicher Borniertheit, vom Scheitern der Gutmeinenden, von der Scham der Gewaltverschonten und von der Anmaßung des Theaters, auf der Bühne den Krieg verhandeln zu wollen. Als könne man sich hineinversetzen in die Lage der Menschen in Syrien.

Es ist die Stärke des neuen Stücks von Calderón, dass der Chilene die Grenzen des Sagbaren auf der Bühne nicht direkt thematisiert, sondern die Macht des Mediums in Frage stellt, indem er Irritationen schafft, sie in die Anlage des Abends hineinkonstruiert. So muss er den Zuschauer nicht belehren, sondern lässt ihn selbst erleben, wie Kunst, wenn sie nicht authentisch ist, Missverständnisse schafft, Vorurteile bestätigt, falsche Entlastung schafft. Dabei gelingen Calderón ein paar bissige Passagen, in denen Theaterdiskurse und die Haltungen von Künstlern persifliert werden, das Reden der Schauspieler über ihre Rollen etwa.

Und die Schauspieler der Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus kommen vor allem in der gespielten Trivialität des ersten Teils richtig in Fahrt. Anna Kubin steigert sich mit Wonne in die Verzweiflung der betrogenen Bana, Simin Soraya macht ihre Hadeel temperamentvoll zur Herzensbrecherin, Gregor Löbel ist der naive Ahmed und Marian Kindermann der zerknirschte Youssif.

Doch so viel Freude es macht, diesem Ensemble zuzusehen, zum Syrienkrieg selbst vermag der Abend wenig zu sagen. Er ist ganz damit beschäftigt, seine Skepsis gegenüber dem bloßen Versuch zu thematisieren. Dabei stellt doch zum Beispiel das aktuelle Dokumentartheater durchaus Mittel bereit, auf intelligente Weise vom Unsagbaren des Krieges zu erzählen, ohne zu verschweigen, dass solche Versuche immer nur Annäherungen an die Wirklichkeit sind. Menschen im friedlichen Europa bleibt nichts anderes, um sich ein Bild von der Welt zu machen. Schade, wenn das Theater dabei nicht helfen will. Calderón wollte das Triviale als Mittel zur Erkenntnis nutzen, und ist darin stecken geblieben.

(RP)
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