Wie bestelle ich ein Zigeunerschnitzel?

Was darf man noch sagen, was nicht? Vor den Einwänden der "political correctness" ist kaum ein Wort sicher. Doch man sollte einen kühlen Kopf bewahren.

In einem Song haben die Toten Hosen das Dilemma der politischen Korrektheit einmal in sarkastische Worte gefasst: "Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein." Seit die Welle der "political correctness" aus den amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen der 80er Jahre zu uns herüberschwappte, wissen wir, wo die Sprachfallen lauern: vor allem dort, wo von Rasse oder Geschlecht gesprochen wird und von Minderheiten. Vieles, das einem früher locker über die Lippen ging, wirkt nun doppelbödig, auch anstößig — je nachdem, welches Gespür man dafür entwickelt hat.

Während Intellektuelle überall eine Falle wittern und politischen Verwicklungen durch oft kuriose sprachliche Umständlichkeit aus dem Weg gehen, sprechen der Mann und die Frau aus dem Volke immer noch so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Schließlich führen sie nichts Böses im Schilde, wenn sie auf der Kirmes ein Zigeunerschnitzel bestellen, wie es schon ihre Eltern und Großeltern gewohnt waren. Auch wenn sie einen Mohrenkopf ordern, verfolgen sie nicht die Absicht, damit dunkelhäutige Menschen herabzuwürdigen.

Dennoch tut man gut daran, zu bedenken, welche Wörter man da zuweilen achtlos in den Mund nimmt und wie viel belastende Geschichte solch ein Begriff unter Umständen mit sich führt. Denn man will ja niemandem Unrecht tun. Am Ende sieht man sich gezwungen abzuwägen, ob ein Begriff noch tragbar ist, weil er seit Generationen zum allgemeinen Sprachgut zählt, oder ob Rücksicht zu nehmen ist auf Menschen, die sich durch seinen Gebrauch verletzt fühlen könnten. Setzen wir uns also mit Beispielen auseinander.

Zigeunerschnitzel An der Bezeichnung dieses gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals aufgetischten Gerichts nahm lange niemand Anstoß, bis in jüngerer Zeit die "political correctness" ihren Zeigefinger erhob: Das Wort "Zigeuner" bedeute eine Herabsetzung der Sinti und Roma und habe einen Beigeschmack von Diskriminierung. Die Stadt Hannover entschied vor einem halben Jahr als erste deutsche Stadt, das Gericht in ihren gastronomischen Einrichtungen nur noch als "Balkanschnitzel" anzubieten. Vielleicht wird sich diese Neuschöpfung ja in 100 Jahren durchsetzen, doch Sprache hat ein großes Beharrungsvermögen, und wahrscheinlich wird auch die nächste Generation noch mit dem "Zigeunerschnitzel" aufwachsen.

Negerkuss In minderem Maße gilt das für den "Negerkuss", jene Süßigkeit aus Eiweißschaum, die sich inzwischen auch als "Schokokuss" und "Schaumkuss" einen Namen gemacht hat. Das Wort "Neger" ist inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerung verpönt, weil es eng mit der Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und Rassentrennung verbunden ist, dazu mit der nationalsozialistischen Rassentheorie. Dabei kommt "Neger" vom lateinischen "niger" und bedeutet lediglich "schwarz". Wie weit die politische Korrektheit bereits den Alltag erobert hat, erkennt man daran, dass inzwischen selbst die alternativen Begriffe "Schwarzer" und "Farbiger" beargwöhnt werden. Das Ideal der Korrektheit wäre vermutlich eine Welt, in der die Unterscheidung der Hautfarben ihre Bedeutung verloren hat. Bis es so weit ist, wird man die Wörter aber zumindest in historischer Anwendung immer noch benutzen müssen.

Ohnehin gewinnt man den Eindruck, dass politische Korrektheit nur oberflächlich auf Begriffe zielt, in Wirklichkeit aber ein neues Bewusstsein, auch ein neues Handeln hervorbringen will. Eltern erinnern sich gewiss an den Augenblick, als ihr Kind erstmals einen dunkelhäutigen Menschen erblickte und je nachdem mit Angst oder Heiterkeit reagierte. Das ist der Moment, in dem Eltern Weichen stellen. Wer dem Kind erklärt, dass es Menschen unterschiedlicher Hautfarbe gibt und dass in anderen Teilen der Erde nicht Weiße, sondern Schwarze die Mehrheit bilden, dass zudem die Hautfarbe ein rein äußerliches Merkmal eines Menschen ist und ein Schwarzer in einer deutschen Straßenbahn keinen Anlass gibt, ihn zu mustern, der hat schon viel richtig gemacht.

Bis zur Vergasung Es gibt Begriffe, welche die Nationalsozialisten in die deutsche Sprache eingeführt haben und deren Anwendung sich daher heute verbietet — ohne Wenn und Aber. Zu den Tabu-Wendungen zählt "bis zur Vergasung", und das, obwohl diese Formulierung schon vor dem "Dritten Reich" gang und gäbe war. Sie soll ausdrücken, dass man einer Sache so überdrüssig ist, dass man sich lieber durch Giftgas töten ließe, und sie entstand bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Da man aber bei "Vergasung" unmittelbar an die Gaskammern des Holocaust denkt, sollte man den Begriff in anderen Zusammenhängen (außer physikalischen) nicht mehr verwenden. Das Gleiche gilt für "Führer", "ausmerzen", "entartet" und zahlreiche weitere historisch belastete Wörter.

Fräulein Auch das Wort "Fräulein" gehört nicht mehr in die Gegenwart. Es wirkt heute, als wolle man damit eine unverheiratete Frau lächerlich machen. Überhaupt gilt es, bei der Wortwahl darauf zu achten, dass man den anderen nicht auf eine einzige Eigenschaft reduziert.

Behinderter Selbst ein scheinbar so neutrales Wort wie "Behinderter" oder "geistig Behinderter" zieht heute aus der Perspektive der "political correctness" Argwohn auf sich. Diejenigen, die es sind, möchten nicht so bezeichnet, auch nicht so gesehen werden. Schließlich sind sie meist nur in einer einzigen Hinsicht in ihrem Handeln eingeschränkt. "Taubstumme" wollen lieber "Gehörlose" genannt werden, eine pflegebedürftige Person möchte sich nicht zum "Pflegefall" degradiert sehen. Dass beleidigende Begriffe wie "Spasti" in unserer Sprache keinen Platz haben sollten, steht ohnehin außer Frage.

Gutmensch Es gibt Wörter, unter deren freundlicher Oberfläche sich Böswilligkeit versteckt und die man deshalb meiden sollte. "Gutmensch" zählt dazu. Mit diesem Begriff werden zumal im Internet Andersdenkende ob ihrer religiös oder gesellschaftlich bestimmten Moral pauschal diffamiert.

Noch einmal "Zigeunerschnitzel" Wie soll man denn nun angesichts der Fallen, die im Sprachdschungel und auch im realen Alltag lauern, sein geliebtes Zigeunerschnitzel bestellen, wo man sich doch mit "Einmal Balkanschnitzel, bitte!" nichts als fragende Blicke einhandelt? Vorschlag zur Güte: Politische Korrektheit darf nicht zum Selbstzweck werden. Wer ein Zigeunerschnitzel bestellt und es sich schmecken lässt, denkt dabei nicht an Zigeuner — und wenn doch, dann nur in bestem Einvernehmen.

(RP)
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