Richard Branson, Jeff Bezos und Elon Musk „Space Race“, während die Erde brennt

Meinung | Washington · Die Milliardäre Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk liefern sich mit ihren Raumfahrt-Firmen ein privates Wettrennen ins Weltall. Entfleuchen sie bald gemütlich gen Mond oder gar Mars, während Klimakrise, Pandemien und andere Probleme die Welt ins Chaos stürzen?

 Drei sind nicht zu bremsen: Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk.

Drei sind nicht zu bremsen: Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk.

Foto: Fotos: dpa | Montage: Ferl

Im Weltraum hört dich niemand schreien. Das war nicht nur ein Werbeslogan für den Film „Alien“. Es ist auch schlichter Fakt: Im All gibt es keinen Schall, weil der sich im Vakuum schlicht nicht ausbreiten kann. So weit, so simpel. Also weiter zur Aussage „Im Weltraum gibt es keine Gefühle“. Das ist der Titel eines tollen schwedischen Films über einen Autisten, aber inhaltlich natürlich Mumpitz. Schade eigentlich, denn es würde es ganz gut erklären, weshalb er nicht nur den Menschenschinder Jeff Bezos höchstpersönlich ins All zieht, sondern auch seine kaum weniger verhassten Mit-Milliardäre Elon Musk und Richard Branson. Schließlich haben alle drei ein gestörtes Verhältnis zu ihren Mitmenschen im Allgemeinen und ihren Angestellten im Besonderen.

Was also, wenn nicht das Losgelöstsein von lästigen Emotionen, treibt das Trio an zu seiner ganz privaten Neuauflage des „Space Race“ – und wie gut sind die Erfolgsaussichten?

Beim ersten Wettrennen ins Weltall hatten sich seit 1955 die Sowjetunion und die USA gemessen, als beinahe sportlich-faires Gegenprogramm zum parallel schwelenden Kalten Krieg. Die Sowjets erreichten einen Meilenstein nach dem anderen, brachten den ersten Satelliten, den ersten Hund und mit Juri Gagarin auch den ersten Menschen ins All. In der Rückschau aber verblasste all das angesichts des Zielsprints der USA, die mit der Mission Apollo 11 Menschen auf dem Mond abzusetzen und wohlbehalten zurückbrachten. Das Rennen war entschieden, seit 1975 wird kooperiert, seit 2000 ist die Internationale Raumstation bewohnt. Dennoch herrschte jahrzehntelang das Gegenteil von Aufbruchstimmung. Denn die Technik stammte vom militärisch-industriellen Komplex, die Organisation aber war staatlich-bürokratisch, und die Rechnung beglich stets der Steuerzahler. Und dem erscheint das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Raumfahrt immer schlechter.

Private Vorstöße gab es schon in den Siebzigerjahren; zu den Pionieren gehörte überraschenderweise ein Stuttgarter Unternehmen namens Otrag. Die Grenze zum Weltraum in etwa 100 Kilometern Höhe über dem Meeresspiegel aber blieb über Jahrzehnte unerreicht. Das hat sich in den vergangenen Jahren gründlich geändert. Insbesondere das Unternehmen „Space X“ feiert seit 2008 mit komplett selbst gebauten und auf revolutionäre Art wiederverwendbaren Raketen Erfolge in Serie.

2018 schoss Elon Musk, der berühmt-berüchtigte Gründer der Firma, sein eigenes Auto ins All; inzwischen hat es einmal die Sonne umrundet. Das irre Spektakel war gleich ein doppelter PR-Erfolg; der rote Roadster wurde vom Elektroauto-Start-up Tesla gebaut, den Musk ebenfalls gegründet hat. Der Visionär schwärmt, als Teil seines andauernden Flirts mit dem Größenwahn, gern von einer Kolonie auf dem Mars, auf der er selbst gern leben und sterben wolle. Er selbst jedoch hat die Erde noch nie verlassen. Dabei werden ihm zwei andere Superreiche zuvorkommen: Am 20. Juli will Amazon-Gründer Jeff Bezos ins All fliegen, mit einer Raumkapsel seines Unternehmens „Blue Origin“. Bereits am Sonntagabend hob der britische Unternehmer Richard Branson (u.a. Luftfahrt und Musik) ab; mit dem Raumflugzeug „VSS Unity“ seiner Firma „Virgin Galactic“ erreichte er sein Ziel: eine Flughöhe von etwa 85 Kilometern – und etwa vier Minuten Schwerelosigkeit.

Es gibt gute Gründe, das aufreizend, dekadent, ja obszön zu finden – schließlich hat dieses Trio seine Milliarden auf dem Rücken prekärer Arbeitskräfte verdient und aggressiver noch als andere jedes Steuerschlupfloch genutzt. Und ihre Konkurrenz belebt zwar fraglos die Raumfahrt selbst und verbessert deren Image, ohne aber irgendeine Art von wissenschaftlichem Fortschritt zu bringen, wie es auf der ISS pausenlos geschieht.

Warum in die Ferne schweifen, lautet also die Frage an Branson, Bezos und Musk? Weshalb, Gentlemen, setzen Sie Ihr Genius nicht ein, um die drängenden, miteinander verwobenen ökologischen, ökonomischen und politischen Herausforderungen anzugehen? Klimawandel, Artensterben, Pandemien einerseits, wirtschaftliche Ungleichheit andererseits, die durch Völkerwanderungen noch massiv verschärft werden dürften. Und falls nicht unser Planet selbst in latenter Lebensgefahr schwebt, dann doch jedenfalls das lange so unangefochtene Erfolgsmodell aus liberaler Demokratie und Marktwirtschaft. Es gibt viel zu tun – lassen wir’s liegen!?

Romantisch-sentimentale Motive kauft Branson, Bezos und Musk jedenfalls niemand ab, egal wie oft sie ihre „Kindheitsträume“ vom Flug zu den Sternen beschwören. Um mehr als ein reines Kräftemessen mit dem beliebten Phallussymbol Rakete geht es allerdings durchaus. Ins Weltall wollen sie nicht nur, weil sie’s können.

Wenig überraschend indes ist das Motiv am Ende bloß wieder: Profit. Den erfolgreichsten privaten Raumfahrt-Firmen stehen diverse Geschäftsbereiche offen. Erstens geht es um lukrative Verträge mit der Nasa zur Versorgung der Internationalen Raumstation, um die auch der Luftfahrtriese Boeing konkurriert, dessen nächste Mission am 30. Juli startet. Zweitens wittern die Unternehmer Umsätze im entstehenden Weltraumtourismus schon ab 2022. Drittens haben sie Fernziele im Visier wie den potenziell enorm profitablen Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden.

Auch mit allem Geld der Welt aber wird eines nicht passieren: Dass diese oder andere Superreiche lässig grinsend gen Mond oder gar Mars entschwinden, während die Erde brennt. Das wird, falls überhaupt jemand, erst in zig Jahrzehnten möglich sein. Und selbst ein durchaus denkbarer mehrtägiger Urlaub im All wäre alles andere als angenehm. Das W-Lan auf der ISS beispielsweise ist mies, das Essen noch schlimmer. Die Toiletten ähneln Staubsaugern, was sie auch müssen, da Astronauten regelmäßig an Verstopfung leiden. Die Schwerelosigkeit führt zu Fehlbelastungen des Herzens und Übelkeit, Schlafstörungen und oft auch migräneartigen Kopfschmerzen. Muskelmasse und Blutqualität leiden enorm, die Knochen schwinden vierzig Mal so schnell wie auf der Erde. Die kosmische Strahlung schädigt Hirn, Augen und Immunsystem und erhöht das Krebsrisiko massiv.

„Weltraum-Tourismus wird zwangsläufig ätzend sein“, heißt es unverhohlen schadenfroh in einem Essay bei Salon.com.  Und: „Milliardäre werden nicht in die Lage kommen, an einen anderen, besseren Ort zu fliehen. Sie werden wie wir alle leben und sterben auf diesem einen wunderschönen, wertvollen Planeten unter unendlich vielen.“ Und bis dahin wird die Kritik am neuen „Space Race“ zu Recht immer weiter wachsen.

Kurz: Im Weltraum sieht dich niemand protzen. Sondern stattdessen recht wahrscheinlich jemand k-----.

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