Nach dem Sojus-Absturz Zur russischen Raumfahrt gibt es derzeit keine Alternative

Nach dem Absturz der Sojus-Kapsel am Donnerstag ist Russland darum bemüht, Vertrauen zurückzugewinnen. Allerdings gibt es derzeit ohnehin keine Alternative für die bemannte Raumfahrt.

 Start der Raumkapsel Sojus MS-10 auf dem Weltraumbahnhof Baikonur: Knapp drei Minuten später kam es zum endgültigen Abbruch der Mission.

Start der Raumkapsel Sojus MS-10 auf dem Weltraumbahnhof Baikonur: Knapp drei Minuten später kam es zum endgültigen Abbruch der Mission.

Foto: dpa/Dmitri Lovetsky

Nur zwei Minuten und 45 Sekunden nach dem Start war am Donnerstag nichts mehr zu retten: Die Notfall-Computersysteme an Bord der Sojus schlugen Alarm und lösten letztendlich das Rettungssystem aus. Der russische Kosmonaut Alexej Owtschinin und sein US-Kollege Nick Hauge wurden in ihrer Kapsel von der Rakete getrennt. Es kam zu einem „ballistischen Abstieg“. Das heißt: Die Raumfahrer befanden sich in der Kapsel im freien Fall und stürzten 30 Kilometer tief. Dabei wurde sie mit dem Siebenfachen ihres eigenen Körpergewichts in die Sitze gepresst. Sie überlebten die Notlandung. Nun hat die Suche nach den Ursachen begonnen - und nach der Antwort auf die Frage, wie dringend Alternativen zur russischen Technik gefunden werden müssen.

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst ist derzeit nicht nur Kommandant der Internationalen Raumstation ISS in knapp 400 Kilometer Höhe. Er ist auch ein Diplomat, der aus dem Erdorbit heraus versucht, über Twitter Zuversicht zu verbreiten. „Raumfahrt ist hart. Aber wir müssen weitermachen, zum Wohle der Menschheit.“

Die Frage ist nur, wie weit das Vertrauen noch reicht. Denn der Zwischenfall am Donnerstag war leider kein Einzelfall in den vergangenen Jahren für die russische Weltraumagentur Roskosmos. Bislang jedoch hat das Versagen der Technik nur Raketen, Satelliten oder Versorgungsraumschiffe betroffen. Keine Menschen. „Und bei den vergangenen 60 Starts lag die Fehlerquote bei null Prozent“ sagt ein Sprecher der europäischen Weltraumagentur ESA auf Nachfrage der Redaktion. Es gebe keinen Grund, am Partner Russland zu zweifeln.

Wie immer in solchen Fällen hat sich bereits die russische Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Roskosmos hat auch bereits ein erstes Ergebnis der Ursachenforschung veröffentlicht: Demnach seien einige Bauteile zusammengestoßen, als sich die erste Stufe von der zweiten löste. Ein Startbooster hätte sich abgeschaltet und die zweite Stufe am Ende nicht mehr genug Schub erzeugen können. Das habe die Notfall-Systeme ausgelöst, teilte Sergei Krikaljov, Roskosmos-Direktor für bemannte Raumfahrt, mit. Bis man aber alle Details kennen würde, bleibe es dabei: Alle Starts seien erst einmal ausgesetzt. Hinter den Kulissen indes wird mit Hochdruck gearbeitet.

Erst Leck, nun Absturz

Denn es war peinlich genug, dass die Astronauten an Bord der ISS Mitte September ein Leck in der derzeit angedockten Sojus-Kapsel entdeckt hatten. Das ließ sich zwar schnell verschließen. Aber anscheinend hat jemand mit einem Bohrer auf dilettantische Weise das Problem verursacht und dann seinen Fehler, sprich das Leck, einfach überklebt und die Kapsel abheben lassen.

Nur knapp drei Wochen später folgte nun der Fehlstart: Das Ansehen des Landes hängt von einer schnellen Aufklärung ab, aber auch das Schicksal der Astronauten an Bord der ISS. Neben Alexander Gerst halten sich die US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor und der Russe Sergei Prokopjev auf der Raumstation auf. Mit dem verpatzen Start am Donnerstag sollten zwei neuen Besatzungsmitglieder begrüßt werden, die nun nicht angekommen sind. Das hat zunächst Auswirkungen auf den Zeitplan der Astronauten. „Wir erstellen mit unseren Partnern eine Prioritätenliste der Aufgaben und Experimente“, heißt es bei der ESA. Aber ja, es werde bei einigen Projekten zu Verzögerungen kommen. Dennoch bleibt man zunächst gelassen. Die Versorgung der Astronauten sei gesichert. Zwei US-Transportflüge waren ohnehin im November geplant. Auch am Rückhol-Termin für die drei Astronauten am 13. Dezember halte man derzeit noch fest. Zeitdruck entsteht nur durch die angedockte Sojus-Kapsel: Der Treibstoff degeneriert mit der Zeit. Wenn Roskosmos also nicht bald die Flüge wieder aufnimmt, müssten spätestens im Dezember die Astronauten mit der angedockten Kapsel zurückkehren – und die ISS dann verwaist zurücklassen. Oder aber der Aufenthalt der Astronauten wird verlängert. Im Vertrauen darauf, dass die Flüge später wieder aufgenommen werden.

Derzeit stehen im Weltraum noch viele Optionen offen. Auf der Erde dagegen gibt es zu Roskosmos keine Alternative für die bemannte Raumfahrt. China hat zwar schon Astronauten ins All geschickt. Das Land ist aber weit davon entfernt, für Russland einspringen zu können. Die US-Weltraumbehörde NASA selbst hat immer noch keine Alternative zum Space Shuttle und setzt auf Privat-Unternehmen wie Boeing oder SpaceX. Beide haben zwar Systeme für die bemannte Raumfahrt entwickelt, aber die sind noch nicht getestet worden. Erst im nächsten Jahr wird man Erfahrungen unter realen Bedingungen sammeln – und das heißt noch nicht, dass dann sofort Astronauten damit starten können.

Russland bleibt der Schlüssel zur bemannten Raumfahrt

Russland ist und bleibt der Schlüssel für die bemannte Raumfahrt. Mit einer Technik, die in weiten Teilen noch in den 1960ern entwickelt worden ist. Russlands Präsident Wladimir Putin treibt zwar eine Erneuerung voran. Doch vor 2022 wird sich auch da nichts tun. Zu lange litt Roskosmos unter zu geringen Budgets und darunter, dass vor allem in den 1990er Jahren talentierte Nachwuchs-Wissenschaftler ausgewandert sind und die verbliebenen Spezialisten überaltert waren.

Bei der Raumfahrt bewegt man sich an den Grenzen des technisch Möglichen. Material und Personal müssen den Anforderungen entsprechen. An Bord der Sojus haben die Astronauten überlebt, und alle Sicherheitssysteme haben funktioniert. Nicht zum ersten Mal: 1975 wurde ebenfalls ein Start abgebrochen. Nach vier Minuten und 48 Sekunden in 192 Kilometer Höhe. Als die zweite von der dritten Raketenstufe abgelöst werden soll, hielten drei von sechs Verschlüssen – die dann abgerissen wurden. Die Flugbahn der Sojus veränderte sich dadurch, die Notfallsysteme griffen ein. Mit mehr als dem 21-Fachen ihres Körpergewichts wurden die drei Kosmonauten in ihre Sitze gepresst, als die Rückkehrkapsel abgesprengt wurde, um sie zu retten. Alle drei überlebten.

Auf die Technik scheint also am Ende doch Verlass zu sein. Dann muss Russland nun schnellstmöglich beweisen, dass nicht die Menschen, ihre Qualifikationen und ihre Gehälter die Hauptprobleme sind.

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