Artemis I: Testflug zum Mond Spannung vor Landung von Orion am Sonntag
Update · Nach 26 Tagen soll die Artemis-I-Mission ihr Ende finden. Die Orion-Kapsel soll am Sonntag um 18.40 Uhr unserer Zeit vor der Westküste Mexikos im Pazifik landen.
Es läuft gut. Das ist die Meinung der Ingenieure bei der Pressekonferenz der US-Raumfahrtbehörde Nasa in der Nacht. Die Kapsel und das mit ihr verbundene Service-Modul der Europäischen Weltraumorganisation Esa hat bislang kaum Probleme gemacht. Auch wenn nun eine der Antennen mit geringerer Leistung arbeitet. Doch im Vergleich zu allem, was hätte ausfallen können, ist das eher vernachlässigbar. Was den Ingenieuren tatsächlich mehr Kopfzerbrechen bereitet, sind die Probleme mit der Stromverteilung. Das Ersatzsystem hat zwar anstandslos die Arbeit übernommen. Insofern ist auch das kein kritischer Fehler. Aber man würde nicht verstehen, was die Ursache sei. Als ob das Licht in der Wohnung an- und ausgehen würde, obwohl niemand den Lichtschalter gedrückt habe.
Der Fehler ist nicht gravierend und gefährdet auch nicht die Mission. Da scheint es schlimmer, dass aufgrund einer anrückenden Kaltfront die angepeilten Landeplätze nicht mehr angesteuert werden können. Regen und zu hoher Wellengang mit mehr als 1,8 Meter würden die Wasserung zwar noch erlauben, aber die Bergung der Kapsel wäre dann zu schwierig. Nun hat man sich für eine Stelle vor dem mexikanischen Baja California entschieden, wo die Orion-Kapsel am Sonntag gegen 18.40 Uhr unserer Zeit im Pazifik aufsetzen soll. Die genauen Koordinaten gibt man nicht bekannt. Aus Angst vor Sabotage in einer angespannten weltpolitischen Lage? Vielleicht. Aber wahrscheinlich fürchtet man noch mehr Schaulustige, die sich in Booten aufmachen und die Bergung behindern könnten.
Mit Spannung erwartet man dafür die letzten Manöver der Orion-Kapsel, bevor sie sich am Sonntag der Erde nähert. Mit fast 40.000 Kilometer pro Stunde. 42 Minuten vor der Landung und 5000 Kilometer entfernt wird das „Europäische Service-Modul“ ESM abgetrennt. Es verglüht über dem Pazifik in der Erdatmosphäre. Am Ende wird davon nichts bleiben als Asche.
20 Minuten vor der Landung dringt Orion dann in fast 122 Kilometer Höhe in die Atmosphäre ein. Die Kapsel stürzt dabei zunächst bis auf eine Höhe von fast 61 Kilometer. Vereinfacht wird dabei gesagt, dass sich die Kapsel durch Reibung erhitzt. Das ist nicht ganz falsch, aber der tatsächliche Vorgang ist komplizierter. Denn neben Reibung hat etwas anders einen sehr viel größeren Anteil: Weil Orion so schnell ist, können die Gase nicht ausweichen. Sie werden komprimiert. Und wie bei einer Luftpumpe, die man schnell nutzt, erhitzt sich das Gas. Im Fall von Orion auf bis zu 2.800 Grad Celsius. Die Kapsel arbeitet quasi gegen die Atmosphäre, verliert dadurch Energie und wird abgebremst.
Geschützt wird sie dabei von einem Hitzeschild mit einem Durchmesser von etwas mehr als fünf Meter. Das macht es zum bislang größten jemals gebauten Schild seiner Art. Denn er ist „ablativ“. Das heißt, das Material „verbrennt“ kontrolliert und leitet so die Hitze ab. Das Schild selbst besteht aus „Avcoat“. Das ist ein spezielles Harz, das ursprünglich für das Apollo-Programm entwickelt worden war. Bei Orion kommt eine neue Variante zum Einsatz. In 186 vorgefertigten Blöcken.
Die Kapsel selbst wird zusätzlich vor zu großer Resthitze noch von 1.300 Kacheln geschützt. Ähnliches wurde bereits beim Space-Shuttle eingesetzt. Das Ziel: Innerhalb des Raumschiffs soll es nur 24 Grad warm werden, während außerhalb Temperaturen von 2.800 Grad entstehen. Das ist so viel Energie, dass Moleküle in der Atmosphäre ionisiert werden. Das heißt, die Elektronen werden aus den Bahnen um ihre Atomkerne gerissen. So entsteht ein sogenanntes Plasma aus geladenen Teilchen. Und das beeinträchtigt auch die Funkverbindung von Orion mit der Erde.
Darum gibt es in der ersten Phase des Wiedereintritts auch für mehr als fünf Minuten keinen Kontakt mehr zur Bodenstation. In der Zeit prallt Orion von der Atmosphäre ab. Wie ein Stein, den man übers Wasser hüpfen lässt. Nach sieben Minuten ist das Raumschiff darum wieder auf eine Höhe von knapp 89 Kilometer gestiegen. Bei „nur“ noch etwas mehr als 27.000 km/h. Das ist in etwa die Geschwindigkeit, mit der auch Kapseln von der Internationalen Raumstation ISS zur Erde zurückkehren.
Es ist das erste Mal, dass die Nasa ein solches Landemanöver versucht. Das soll die Belastung der Astronauten bei zukünftigen Artemis-Missionen auf das maximal Vierfache der Erdbeschleunigung limitieren. Zudem lässt sich so besser steuern, wo man wassern wird. Bei den alten Apollo-Missionen dagegen sind die Kapseln einfach durch die Atmosphäre „gefallen“.
In 45 Kilometer Höhe ist Orion noch rund 13.800 km/h schnell. Erneut fällt die Verbindung für etwas mehr als drei Minuten aus. In 30 Kilometer Höhe ist die Geschwindigkeit auf etwa 3850 km/h gefallen, in 15 Kilometer Höhe ist die Kapsel dann nur noch knapp 850 Kilometer pro Stunde schnell.
Bei 460 km/ in 10.000 Meter Höhe wird die obere Schutzverkleidung abgesprengt und von drei Fallschirmen aus der Bahn getragen. Danach entfalten sich zwei jeweils sieben Meter durchmessende Bremsschirme, die auch die Kapsel stabilisieren. Ihnen folgen in mehr als 1600 Meter Höhe (206 km/h) drei weitere Schirme, die vor allem die drei jeweils rund 35 Meter durchmessenden Hauptschirme herausziehen. Am Ende soll die Kapsel mit knapp 30 km/h im Pazifik wassern – und dort für zwei Stunden bleiben. Für den Testflug will man wissen, wie sich Orion im Ozean weiter abkühlt und sich die Temperaturen im Inneren entwickeln. Bei „Artemis II“ mit Astronauten an Bord wird man nicht so lange bis zur Bergung warten. Aber die Informationen sind wichtig, um zukünftige Missionen zu planen.
Und bislang hat das Raumschiff 140 Gigabyte an Daten zur Erde gesendet. Weitere beispielsweise zur Strahlenbelastung werden folgen, sobald die Kapsel geborgen worden ist. Und die könnte mit einer erfolgreichen Wasserung auch einen symbolischen Erfolg für sich verbuchen: Am 11. Dezember 1972 landeten mit „Apollo 17“ die bislang letzten Menschen auf dem Mond. Genau 50 Jahre später soll der erste große Schritt gemacht werden – um mit dem Artemis-Programm zum Mond zurückzukehren.
Update, Freitag, 16.45 Uhr
Mit Erleichterung, aber vor allem auch mit Stolz reagierten die Experten der Europäischen Weltraumorganisation Esa und des Industriepartners Airbus auf den bisherigen Verlauf der Artemis-I-Mission. Das Service-Modul (ESM) aus Europa hat den Flug bislang mit Bravour gemeistert. Vielleicht sogar besser, als es sogar Optimisten für möglich gehalten haben. Es gab kleinere Probleme wie beispielsweise mit der Stromverteilung. Und anhand der Daten sieht man zwar noch Raum für Optimierungen, aber nichts müsste grundsätzlich infrage gestellt werden.
Weil die Isolierung besser ist als vorgesehen, würden die Heizelemente weniger Energie verbrauchen als in den Simulationen. Das bedeutet auch, dass die Solarmodule mehr Strom liefern als benötigt. Und eigentlich sollte das Raumschiff stets mit dem Heck in Richtung Sonne ausgerichtet fliegen. In relativ engen Grenzen. Doch die sind größer als berechnet und gehen über das hinaus, was man vor dem Start als kritisch ansah. Zudem halten die Solarmodule der Belastung in den Beschleunigungsphasen, wenn die Motoren zünden, besser Stand als gedacht. Das alles eröffnet größere Spielräume bei zukünftigen Missionen beispielsweise bei Andockmanövern mit dem Landesystem von SpaceX oder der geplanten Raumstation „Gateway“ im Mondorbit.
Ob es nicht traurig sei, dass das Service-Modul am Ende in der Atmosphäre verglüht? Nach so vielen Jahren der Arbeit, die darin stecken und der Leistung während der Artemis-I-Mission. Auf unsere Frage antwortet Philippe Deloo, ESM-Projektmanager der Esa, leicht philosophisch: „Alles ist Leben. Das Ende des Lebens ist ein Teil des Lebens und darum auch Leben. Die Frage ist, ob das ESM seine Mission erfüllt hat. Und das hat es. Darum bin ich nicht traurig, sondern froh.“