Vega-C Untersuchungsbericht Europas Raumfahrt in der Krise

Paris · Der Grund für den Fehlstart der Vega-C-Rakete im Dezember scheint gefunden zu sein: In der zweiten Stufe versagte Material. Zu dem Schluss ist eine unabhängige Kommission gekommen. Das wirft die europäischen Raumfahrtpläne zurück.

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Es war am 20. Dezember 2022, als 151 Sekunden nach dem Start das Zefiro-40-Triebwerk in der zweiten Stufe der neuen Vega-C-Rakete Probleme machte. Der Druck fiel unaufhaltsam ab. So weit, dass es 207 Sekunden nach dem Start keinen Schub mehr gab – und die Rakete wie eine abgeschossene Kugel nur noch einer ballistischen Flugbahn folgte. Das Notfall-Protokoll ließ keine andere Möglichkeit mehr zu, als die Rakete sicherheitshalber zu sprengen. Zwei neue Satelliten zur Erdbeobachtung von „Airbus Space and Defense“ gingen dabei verloren. Und es stellte sich vor allem eine Frage: Wie kam es zu dem Fehler der Vega-C, die nur wenige Monate zuvor, im Juli, ihren erfolgreichen und vor allem problemlosen Jungfernflug absolviert hatte?

Die europäische Weltraumorganisation Esa als System-Entwickler setzte zusammen mit dem Vermarkter, das französische Unternehmen Arianespace, eine unabhängige Kommission ein. Und die präsentierte am Freitagmorgen ihre vorläufigen Ergebnisse vor. Die gute Nachricht war: Man hatte keinen Konstruktions- oder Systemfehler entdeckt, die das gesamte Design oder den Aufbau der Vega-C infrage stellen würde – die von dem italienischen Unternehmen Avio gebaut wird.

Die schlechte Nachricht war indes: Das Material der Schubdüsenhals-Auskleidung hatte versagt und den Belastungen bei Temperaturen von 3000 Grad Celsius nicht standgehalten. Es war erodiert, weil es sehr wahrscheinlich nicht homogen genug gewesen war. Dabei handelt es sich um einen Kohlenstoff, der durch zusätzliche Kohlenstofffasern verstärkt wird. Sogenanntes CFC-Material. Und es war von dem ukrainischen Unternehmen Juschnoje hergestellt und geliefert worden, das bereits seit Jahrzehnten Raketen baut und Erfahrung hat. Um alle Spekulationen vorzubeugen, wurde indes betont, dass Avio das Material schon lange vor dem Krieg erhalten habe. Das italienische Unternehmen hatte sich für Juschnoje entschieden, weil es damals der einzige Anbieter gewesen sei, der in ausreichender Menge hätte liefern können.

Das ist zumindest das vorläufige Ergebnis der Kommission. Es stehen zwar noch weitere Tests an, aber man scheint sich sehr sicher und leitet daraus mehrere Maßnahmen ab: Die Arianegroup, Mutterkonzern von Arianespace, wird einen alternativen Werkstoff produzieren und liefern, der indes bereits in der alten Vega-Rakete, dem Vorgänger der neuen Vega-C, eingesetzt wird. Zudem sind die Kriterien zum Nachweis der Flugtauglichkeit offensichtlich nicht ausreichend und sollen verbessert werden.

Allerdings betonte Stéphane Israel, Vorstandsvorsitzender von Arianespace, dass das Zefiro-40-Triebwerk bei allen Tests und auch beim Jungfernflug keine Anomalien gezeigt habe. Und er steht unter Druck. Nicht nur, dass es nach jahrelangen Verzögerungen immer noch keine Bestätigung für den ersten Flug der neuen „Ariane 6“ in diesem Jahr gibt. Mit dem Ausfall der Vega-C steckt Europas Raumfahrt in einer schweren Krise. Die Aufträge kommerzieller Anbieter stapeln sich in einer Warteschlange. Eventuell werden einige nun abspringen und nach Alternativen außerhalb Europas suchen, sofern das für sie noch technisch machbar ist. Aber auch Aufträge aus der Wissenschaft und dem militärischen Sektor werden zurückgeworfen.

Schließlich sind mittlerweile drei der vergangenen acht Starts mit der alten und der neuen Vega nicht erfolgreich gewesen. Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher sprach am Freitagmorgen darum auch offen von einer Krise und ernster Besorgnis. Und: „Der unabhängige Untersuchungsausschuss steht für die Verpflichtung der Esa zu den höchsten Sicherheitsstandards. Er hat eine Reihe von Empfehlungen ausgearbeitet, deren Umsetzung eine robuste und zuverlässige Wiederaufnahme der Flüge des Trägers Vega-C gewährleisten sollte.“

Das ist die 35 Meter hohe Vega-C.

Das ist die 35 Meter hohe Vega-C.

Foto: Esa

Nichtsdestotrotz: Europas Möglichkeiten, aus eigener Kraft mit Raketen ins All zu starten, schwinden. Derzeit ist vorgesehen, dass die alte, zuverlässige „Ariane 5“ in diesem Jahr noch zwei Mal abhebt: Am 13. April soll mit ihr die Juice-Sonde starten, mit denen die Monde des Jupiter erforscht werden. Im Sommer sollen zwei Kommunikationssatelliten in den Orbit befördert werden. Und mit einer alten Vega-Rakete möchte man ebenfalls im Sommer noch Sentinel-1C ins All bringen. Er soll den ausgefallenen Sentinel-1B ersetzen und ist Teil des Copernicus-Programms der Europäischen Union zur Erdbeobachtung.

Bis zum Ende des Jahres soll die Vega-C wieder starten. Das Material im Triebwerk der zweiten Stufe wird ersetzt.

Bis zum Ende des Jahres soll die Vega-C wieder starten. Das Material im Triebwerk der zweiten Stufe wird ersetzt.

Foto: dpa/Manuel Pedoussaut

Und was ist mit der Vega-C? Man wird das bislang eingesetzte CFC-Material ersetzen und dann testen. Bis zum Ende des Jahres soll die neue Rakete wieder starten. Die Esa geht von zusätzlichen Kosten von rund 30 Millionen Euro aus, die aber aus dem bestehenden Budget bestritten werden sollen.

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