Neue Raketen für Europa Konkurrenz für Nasa und Space X aus Europa

Nach 4 Milliarden Euro Entwicklungskosten und vielen Verzögerungen soll Ende 2023 die neue Rakete der Europäischen Weltraumorganisation Esa starten. Für die Ariane 6 gibt es schon jetzt 29 Buchungen, davon 18 von Amazon.

So soll die Ariane 6 mit vier Boostern in der sogenannten Ariane-64-Konfiguration starten.

So soll die Ariane 6 mit vier Boostern in der sogenannten Ariane-64-Konfiguration starten.

Foto: ESA - D. Ducros

Europa hinkt zurzeit etwas hinterher. Zumindest was Raketen und kommerzielle Raumfahrt angeht. Das Arbeitstier „Ariane 5“ ist zwar mittlerweile seit 1996 zuverlässig im Einsatz. Doch vor allem SpaceX hat sich in den vergangenen Jahren durch eine aggressive Preispolitik und Marketingstrategie seines Gründers Elon Musk auf dem kommerziellen Markt durchgesetzt. Bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa und dem Raumfahrtunternehmen Arianespace (eine Tochter der Arianegroup) hat man indes früh die Zeichen der Zeit erkannt und bereits 2014 mit der Entwicklung einer neuen Rakete begonnen: der Ariane 6.

Die sollte zwar bereits vor zwei Jahren starten. Aber die Corona-Pandemie und diverse Rückschläge bei der Entwicklung haben das verzögert. Bei einer Pressekonferenz im Oktober gab indes Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher bekannt, dass nun das vierte Quartal 2023 anvisiert wird. Dann soll erstmals die neue Ariane 6 vom europäischen Weltraumhafen Kourou im südamerikanischen Französisch-Guayana abheben. Dafür wurde dort ein neues, 170 Hektar großes Startfeld angelegt. Mithilfe von Solarkollektoren möchte man vermutlich ab 2025 „grünen“ Wasserstoff herstellen, der als Flüssigtreibstoff dienen wird. Zudem werden es die neuen Fertigungsanlagen und Startrampen ermöglichen, „alle zwei Wochen mit Raketen zu starten“, sagt Daniel Neuenschwander, Esa-Direktor für Raumfahrzeugträger, im Gespräch mit uns. Das bedeutet indes nicht, dass sich tatsächlich alle zwei Wochen eine „Ariane 6“ auf den Weg machen wird. Aber bei einer „Ariane 5“ lagen noch mindestens zwei Monate dazwischen. Die Zeit und die Kosten zwischen den Starts konnten deutlich reduziert werden. „Weil zwei Raketen parallel vorbereitet werden“, sagt Neuenschwander. Zudem werden sie horizontal zur Rampe gefahren und erst dort aufgestellt, statt die gesamte Strecke von der Fertigungshalle bis zum Startplatz langsam senkrecht bewegt zu werden.

Und jeder Cent und jede Sekunde, die eingespart werden kann, bedeutet einen Wettbewerbsvorteil in dem rasant wachsenden Geschäft der kommerziellen Raumfahrt: Laut einem jüngsten Bericht der Marktanalysten von „ReportLinker“ hat der Markt für Startsysteme in diesem Jahr bereits rund 17 Milliarden US-Dollar erreicht und wächst bis 2027 auf knapp 30 Milliarden US-Dollar. Und dort will die „Ariane 6“ bestehen, weil sie variabel einsetzbar ist.

Die 62 Meter hohe Rakete setzt beim Start auf sogenannte Booster: Hilfsraketen mit Feststofftreibstoff, die den Namen P120C tragen. Je nach Anforderung können zwei oder vier davon eingesetzt werden, bevor die Vulcain-Haupttriebwerke der ersten Stufe zünden. So können bis zu 21,6 Tonnen in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern werden. Diese Nutzlast kann entweder ein schwerer Satellit sein oder mehrere leichtere Systeme. Der große Vorteil der Ariana 6 versteckt sich indes in der zweiten Stufe. Das neu entwickelte Vinci-Triebwerk lässt sich nicht nur einmal zünden, sondern mehrmals. Anfang Oktober hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt am Standort Lampoldshausen in Baden-Württemberg diese Oberstufe erfolgreich getestet.

In Französisch-Guayana steht bereits eine Ariane 6. Es handelt sich um ein Modell für den Test des Zusammenbaus, der Datenverbindung, der Zuleitungen und der Startsysteme.

In Französisch-Guayana steht bereits eine Ariane 6. Es handelt sich um ein Modell für den Test des Zusammenbaus, der Datenverbindung, der Zuleitungen und der Startsysteme.

Foto: dpa/Manuel Pedoussaut

Mit dem neuen Triebwerk lassen sich diverse Umlaufbahnen erreichen – und mehrere Satelliten mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen transportieren. Mit nur einem Start der „Ariane 6“. Zudem „haben wir die Möglichkeit, Minisatelliten günstig mitfliegen zu lassen“. Dahinter verbergen sich kleine, leichte Flugkörper bis wenige hundert Kilogramm, die von aufstrebenden Raumfahrtunternehmen in Europa oder Forschungsinstituten entwickelt und gebaut werden. Für gezielte Projekte oder kommerzielle Dienste.

Das bietet mittlerweile auch SpaceX an. Und deren „Falcon 9“ kann eine Nutzlast von 22,8 Tonnen in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern. Das ist ein wenig mehr, als es die „Ariane 6“ vermag. „Aber wir planen für 2025 eine weitere Ausbaustufe“, sagt Neuenschwander. Sofern die Ministerratskonferenz der Esa am 22. und 23. November dem zustimmt. Durch leistungsfähigere Booster und verbesserte Triebwerke möchte man die Transportkapazität um 20 Prozent erhöhen und mindestens mit SpaceX gleichziehen, wenn nicht sogar vor Elon Musk liegen. Zudem wird die zweite Stufe nach dem Einsatz komplett in der Erdatmosphäre verglühen, um keine weiteren Trümmerteile zu hinterlassen. Es ist eine Maßnahme gegen den Weltraumschrott im Erdorbit, der die Raumfahrt zunehmend einschränkt. Das benötigt indes anders als bei SpaceX ein wenig Resttreibstoff, um die Stufe entsprechend zu steuern.

Zwar kann die Esa derzeit noch keine genauen Angaben zu den Startkosten machen, aber man will konkurrenzfähig sein - und verweist darauf, dass es bereits jetzt 29 Buchungen gibt. Rund 75 Prozent davon seien kommerziell. Alleine 18 der Aufträge kommen dabei von Amazon. Das US-Online-Warenhaus ist auch ein IT-Dienstleister, das mit dem sogenannten Kuiper-Projekt eine weltweite Internet-Anbindung per Satelliten ermöglichen will. So wie Elon Musk mit seinem konkurrierenden Starlink-System.

Zu den Startkosten selbst schrieb indes im Januar 2021 das Magazin „Politico“, dass sie für eine Ariane 6 mit zwei Boostern ungefähr 77 Millionen US-Dollar betragen sollen – was deutlich unter den Kosten für den Start einer alten „Ariane 5“ mit mehr als 165 Millionen US-Dollar liegt. Auf dem Papier wäre man damit allerdings immer noch teurer als SpaceX. Da geht man für einen Flug der „Falcon 9“ mittlerweile von 67 Millionen US-Dollar aus. Allerdings kann niemand so genau sagen, wo die tatsächlichen Kosten der US-Amerikaner liegen. Der Preis hängt vom Auftraggeber ab. Laut dem US-Nachrichtensender CNBC zahlt die amerikanische Luftwaffe beispielsweise 95 Millionen US-Dollar für einen Start. Erklärt wird das mit erhöhtem Sicherheitsaufwand bei einem Militär-Auftrag. Auf der anderen Seite liegt der große Erfolg des US-Unternehmens darin, dass die erste Stufe der „Falcon 9“ wiederverwendbar ist – was die Kosten deutlich drückt.

Und das ist etwas, dass die Ariane 6 nicht vorweisen kann. Erst nachfolgende Raketensysteme sollen ebenfalls mehrfach eingesetzt werden können. „Und da geht es dann nicht nur um die erste Stufe, sondern auch um die zweite. Was es schwieriger macht“, sagt Neuenschwander. Aber er bestätigt das, was bereits Nasa-Chef Bill Nelson zur Kritik an der nur einmal einsetzbaren „Mondrakete“ für das Artemis-Programm erklärt hatte: Wiederverwendbarkeit sei kein Wert an sich. Nur wenn man in kurzer Abfolge viele Starts organisieren muss, wird es tatsächlich entscheidend. „Grundsätzlich geht es um Nachhaltigkeit“, sagt Neuenschwander. Und dazu gehört die Erzeugung von „grünen“ Wasserstoff, die Vermeidung von Weltraumschrott und die Möglichkeit, diverse Missionen oder Aufträge in einem Start zu bündeln. Zumal der Booster der „Ariane 6“ auch als erste Stufe für die kleinere europäische Rakete „Vega C“ dient, die bis zu 2,3 Tonnen in eine 700 Kilometer hohe Umlaufbahn transportieren kann. Sie startete bereits im Juli dieses Jahres erfolgreich. Die Austauschbarkeit und Multifunktionalität von Bausteinen würde ebenfalls dabei helfen, die Kosten zu senken.

Zumal die Entwicklung von Raketen niemals wirklich beendet ist. Derzeit arbeitet die Esa am „Prometheus“-Triebwerk. Durch fortschrittlichen 3D-Druck und eine digitalisierte Steuerung sollen die Kosten für die Fertigung deutlich reduziert werden. Laut des federführenden Konzerns Arianegroup um den Faktor 10 gegenüber den Triebwerken einer „Ariane 5“ – was Stückpreise von etwa einer Million Euro bedeuten würde. Zudem soll Prometheus wiederverwendbar sein und in zwei Varianten gebaut werden. Die eine würde „klassisch“ mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff betrieben werden. Aber es gibt auch die Option, auf flüssiges Methan als Treibstoff zu setzen. Für den benötigt man Temperaturen von nur rund minus 162 Grad Celsius, bei Wasserstoff hingegen sind es minus 253 Grad Celsius. Das macht Methan deutlich günstiger. Zudem könnte ein Tank dafür kompakter und damit billiger werden. Das sind indes Konzepte für das nächste Jahrzehnt. Derzeit liegt das Hauptaugenmerk auf der „Ariane 6“ und ihren erfolgreichen Jungfernflug im vierten Quartal 2023 – nachdem ihre Entwicklung knapp vier Milliarden Euro gekostet hat und 600 Firmen aus ganz Europa beteiligt waren.

Aber warum der Aufwand? Es geht nicht nur um Forschung oder das Mondprogramm der Nasa, an dem die Esa beteiligt ist. Telekommunikation, Navigation, Wetterbeobachtungen, Landwirtschaft, Veränderungen der Meere, Flüsse und der Atmosphäre oder Reaktionen auf Katastrophen wie gewaltige Waldbrände und Überschwemmungen. Das alles hängt von Systemen im Orbit und Daten aus dem All ab. Und die Erde ist im Wandel. Nicht nur durch die Klimaveränderung, sondern mittlerweile auch durch politische Umbrüche wie dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. „Europa muss auf einen autonomen Zugang zum Weltraum hinarbeiten. Die Ariane 6 ist der Schlüssel dazu“, sagt Neuenschwander. Ähnlich äußerte sich auch Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher bei der Pressekonferenz im Oktober, nachdem viele Kooperationen mit Russland seit dem Krieg hinfällig geworden sind: Ein unabhängiger Weg ins All „ist für Europa in Zukunft entscheidend“.

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