Düsseldorf Warum zu viel Sitzen der Gesundheit schadet

Düsseldorf · Ein Grundschulkind verharrt hierzulande durchschnittlich neun Stunden pro Tag, und ein Erwachsener sogar 11,5 Stunden auf Stühlen, Autositzen oder Sesseln. Die Folgen der Sitzenbleiberei für die Gesundheit sind verheerend – denn die Evolution hat den Menschen nicht darauf eingerichtet.

In einer 14 Jahre währenden Beobachtungsstudie an 120 000 US-Amerikanern zeigte sich: Männer, die täglich sechs Sunden oder mehr sitzend verbringen, haben eine um 20 Prozent höhere Sterberate als die Bis-zu-Drei-Stunden-Sitzer. Bei den Frauen beträgt der relative Unterschied sogar 40 Prozent. Am Pennington Biomedical Research Center in Louisiana erfasste man 13 Jahre lang den Gesundheitszustand und Lebensstil von 17 000 Testpersonen: Die Dauersitzer zeigten dabei ein um 50 Prozent höheres Herztodrisiko als die Wenigsitzer. James Levine von der Mayo-Klinik in Rochester warnt sogar: "Sitzen ist eine geradezu tödliche Aktivität."

Der Endokrinologe hat seine Gründe dafür. Denn das ununterbrochene Sitzen beeinträchtigt gleich auf vielfache Weise unsere Gesundheit. Als erstes wäre da natürlich der geringe Kalorienverbrauch zu nennen, der zudem noch mit einer reduzierten Fettverbrennung einhergeht. Schon wenige Stunden Sitzen reichen aus, um in den Blutgefäßen die Ausschüttung von Lipoproteinlipase (LPL) einzuschränken, einem Enzym, das zur Kontrolle der Blutfettwerte benötigt wird. Bei gelegentlichem Sitzen fällt der LPL-Verlust noch nicht sonderlich ins Gewicht. "Doch wer täglich längere Zeit sitzt, reduziert die LPL-Aktivität um bis zu 50 Prozent", so Levine.

Schwer wiegen auch die Folgen des langen Sitzens auf die Muskulatur: Die Bauch-, Bein- und Gesäßmuskeln werden immer schwächer, während sich die Rückenmuskeln vor allem verkürzen. Diese Dysbalance führt zu einer unphysiologischen Belastung des Skelettes, bis es schließlich zu Rücken- und Gelenkschmerzen kommt. Die sind zwar prinzipiell nicht lebensbedrohend, erfordern aber oft den Einsatz von Schmerzmitteln, die bekanntermaßen schwere Nebenwirkungen haben.

In einer spanischen Studie zeigten Probanden, die mehr als 42 Stunden pro Woche vor dem Fernseher saßen, ein um 31 Prozent erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen als diejenigen, die weniger als elf Stunden vor der Mattscheibe saßen. Was freilich auch am Fernsehprogramm liegen könnte, doch Levine betont, dass Sitzen an sich bereits das vegetative Nervensystem beeinflusst: Die Müdigkeit steigt, dazu verschlechtert sich die Fähigkeit zum Stressabbau – diese Kombination bildet guten Nährboden für Ängste und Depressionen.

Der Homo sapiens der Steinzeit saß noch – wenn überhaupt – im Fersensitz, in dem er es nur einige Minuten lang aushielt. Außerdem erforderte diese Position immer wieder Gewichtsverlagerungen, was die Muskeln aktiviert. Als dann jedoch im Zuge der Zivilisation Sitzmöbel eingeführt wurden, konnte der Mensch plötzlich lange sitzen bleiben. Mit den Folgen kämpft er heute.

(RP)
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