Düsseldorf Warum das Scheitern unvermeidlich zu Ostern gehört

Düsseldorf · Judas, Thomas, Pilatus – die Reihe der Problemfiguren ist lang in der Ostergeschichte. Die Spannung zwischen Scheitern und Vollendung bestimmt auch Ostern, sagt die Theologin Barbara Rudolph. Ein Gespräch über den zweiten Blick auf Leben und Tod.

Das soll ein österlicher Ort sein? Eine Schnecke aus Stein im Boden, in der Mitte ein paar Zweiglein, ein halbes Dutzend Grableuchten, längst erloschen, ein alter Strohhalm, Vogeldreck auch. Der eiskalte Ostwind macht das großspurige Versprechen des Sonnenscheins auf Frühling zunichte. Wir stehen am "Trauerort" in der Düsseldorfer Altstadt. Hierher können Menschen kommen, die sonst keinen Platz haben, um ihre Angehörigen und Freunde zu trauern: Flüchtlinge, Migranten, Fremde.

Und das soll ein österlicher Ort sein? Ja, sagt Barbara Rudolph, alles eine Frage des Blickwinkels. Sie hat den Trauerort als Treffpunkt vorgeschlagen, um über Ostern zu sprechen. Rudolph, 55 Jahre alt, ist in der rheinischen Landeskirche als Abteilungsleiterin im Landeskirchenamt für die Ökumene zuständig. Schon deswegen liegt ihr der Trauerort am Herzen – "es ist wichtig, dass wir Christen einen Ort geschaffen haben, der für Menschen aller Glaubensrichtungen offen ist", sagt sie. Die Verbindung zu Ostern wächst für die Theologin Rudolph aber erst aus dem Gegensatz eines Angebots zum Stillwerden hier hinter der Bergerkirche und von wuselndem Leben drumherum, das geräuschvoll in die Sphäre des Todes eindringt: "Das österliche Leben ist keins, das den Tod verdrängen muss. Es ist ein Leben, das dem Tod standhält."

Ostern, das ist buchstäblich die Höhe. Das Beste, was der christliche Glaube zu bieten hat. Halleluja und Engel und Auferstehung. Ostern ist aber auch das Grab, leer zwar, aber doch ein Grab. Ein Ort der Angst, ein Trauerort wie dieser hier. "Einen Ort brauchen wir", sagt Barbara Rudolph, "und das ist das Originelle an der Passionsgeschichte: Gott sucht sich für seine Zeichen Orte aus, die wir gerade nicht als heilig bezeichnen würden, und verwandelt sie."

Dass das Helle so fröhlich strahlt, heißt nicht, dass Ostern nichts vom Zwiespältigen wissen wollte. Barbara Rudolph ist in Kamp-Lintfort aufgewachsen, in einem kirchlich geprägten Elternhaus, mit den klassischen freundlichen Osterbräuchen wie Eiersuchen im Wald und einer ganzen Parade erzgebirgischer Häschenfiguren. Doch schon als Jugendliche, sagt sie, habe sie sich zu einer der großen zerrissenen Gestalten der Ostergeschichte hingezogen gefühlt, zu Petrus: "Weil der den Mund so voll nahm und mit seiner Verleugnung dann so furchtbar reingerasselt ist. Seitdem rechne ich damit, dass ich meinen eigenen Idealen nicht entspreche."

Die Reihe der Gescheiterten im Ostergeschehen lässt sich leicht verlängern: die Jünger, die am Ölberg einschlafen; Judas, der seinen Herrn verrät; Thomas, der an die Auferstehung erst nicht glauben mag. Und dann ist da ja noch "dieser Pilatus", wie Rudolph ihn nennt, "vielleicht die modernste Figur der Passionsgeschichte, aber auch die ärgerlichste". Diesem Mann entgleitet schlicht das Geschehen: "Er glaubt, er hat das alles in der Hand, und dann fängt er einfach an zu funktionieren. Er schlittert da so hinein – bis hin zu dem Versuch, sich die Hände in Unschuld zu waschen." Kontrollverlust, sagt Rudolph, bleibe eine ständige Gefahr: "Das macht mir Angst, weil das uns allen ganz schnell passieren kann."

Das Ärgerliche an Pilatus sei, dass er die richtige Frage stelle, auch noch dem Richtigen, nämlich Jesus selbst – "Was ist Wahrheit?" –, die Antwort aber gar nicht mehr hören will: "Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus", heißt es bei Johannes. Auch darin, im Fragen ohne die Geduld, auf Antwort zu warten, sei der Statthalter uns Heutigen nahe, meint Rudolph.

Das freilich ist eine unangenehme Nähe. "Scheitern kommt in unserem Leben heute nicht vor – und wenn doch, dann idealisiert." Zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer: In der Haft schrieb er Trostlieder, kurz vor Kriegsende haben ihn die Nazis ermordet. "Wir versuchen, ihn als Märtyrer und Widerstandskämpfer zu verstehen", sagt Rudolph, "aber zunächst ist er natürlich gescheitert, er ist nicht einmal 40 geworden." Ostern lasse aber nicht zu, alle Hoffnung ins Jenseits zu schieben.

Rudolph zitiert ein Lied des Schweizer Theologen Kurt Marti: "Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme." Von der "Auferstehung auf Erden" ist da die Rede, vom "Aufstand gegen die Herren".

"Wer scheitert, ob durch eigene oder durch fremde Schuld", ist Rudolphs Schluss, "der bekommt an Ostern die Botschaft: Von jenseits des Scheiterns kommt jemand auf meine Seite und erweitert meinen Horizont, hier und jetzt." Das heiße aber auch: "Ich kann mir Ostern nicht erarbeiten, ich kann es mir nur erzählen lassen."

Das Scheitern vollzieht sich in den Ostergeschichten vor aller Augen. Die Auferstehung passiert nachts, ohne Zeugen. "Die Bibel hat an dem Naturwissenschaftlichen der Auferstehung überhaupt kein Interesse", sagt Rudolph. "Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh, dass der Vorgang nirgends konkret geschildert wird." Denn das entspreche menschlichem Maß: "Wir können immer nur an den Rand des Grabes treten, wir sind immer etwas langsamer als Gott, wir kriegen Gott nicht in den Griff."

Auch das ist ein Scheitern. Oder ein Schritt auf dem Weg zur Vollendung. Ostern hat beide Seiten. Alles eine Frage des Blickwinkels.

(RP)
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