Düsseldorf Von Fischschwärmen kann man lernen

Düsseldorf · Panik bei Evakuierungen lässt sich vermeiden, wenn einige Ordner voran zu den Notausgängen gehen.

Wenn ein großer hungriger Hai angreift, möchte man kein einsamer kleiner Fisch sein, ganz allein auf hoher See. Mit ein paar Tausend Artgenossen zur Verstärkung sieht das Ganze aber schon anders aus: Jetzt hat selbst der kleinste Hering eine gute Chance, mit dem Leben noch einmal davonzukommen. Das Zauberwort heißt "Schwarmstrategie".

Nun ist es allerdings nicht so, dass es allein die reine Präsenz der schieren Masse macht. Die vielen Tausend Fischleiber brauchen Koordination. Nur so haben sie eine Chance selbst gegen überlegene Gegner. Alle zusammen reagieren blitzschnell wie auf Kommando, als riesiger Superorganismus sozusagen, und formieren sich im Synchronschwimmen zu Kugeln oder Kreisen, nehmen Sanduhrformen an, alles nur, um den Angreifer zu verwirren und ihm kein eindeutiges Ziel zu bieten.

Seltsamerweise gibt es keinen Boss, keinen Cheffisch, der bestimmt, was gemacht wird, wissen Fischforscher. Der Zweckverband der Fische kennt nämlich nur gleichberechtigte Individuen, die sich auch noch ganz von allein und vollkommen selbstständig organisieren. 1986 hat der amerikanische Informatiker Craig Reynolds eine Computersimulation veröffentlicht, die diese Selbstorganisation von Schwärmen auf nur wenige überaus simple Regeln zurückführen kann. Biologen kommen heute mit drei einfachen Schwarmregeln aus. Erstens: Bleibe in der Nähe deiner Schwarmnachbarn! Zweitens: Bewege dich in die gleiche Richtung wie sie! Drittens: Komme ihnen nicht zu nahe! Das ist schon alles.

Hält sich jedes einzelne Individuum daran, kann eigentlich nichts schiefgehen. So weit zumindest die Theorie. Aber wie setzen die Fische das in die Praxis um? Wie können sie im Notfall so blitzschnell reagieren? Die Augen der Fische sind in der Regel an der Seite des Kopfes angebracht. So können sie den Bereich direkt neben sich viel besser überschauen als wir Menschen. Wo wir schon längst den Kopf drehen müssen, blicken Fische noch ganz ohne Kopfbewegung durch. Neben dem optischen und dem Geruchssinn ist es aber vor allem ihr Sinn für Druckverhältnisse, der die Tiere zu derartigen Spitzenleistungen befähigt. Mit dem sogenannten Seitenlinienorgan können Fische blitzschnell kleinste Druckwellen wahrnehmen, wie sie etwa durch das Ausweichen des Nachbarfisches entstehen.

Viele Tausend Augen sehen natürlich wesentlich mehr als nur zwei, und so können potentielle Feinde schon früh erkannt werden. In Abertausenden Fischleibern, die allesamt reagieren wie ein einziger Superfisch, lässt sich so schnell kein einzelnes Ziel anvisieren. Durch das Synchronschwimmen werden Feinde verwirrt und unsicher. Vor allem auf hoher See, im Freiwasser, wo es kaum bis gar keine Versteckmöglichkeiten gibt, verbergen sich die Fische auf diese Art quasi in sich selbst. So kann der Schwarm komplexe Aufgaben lösen, die jedes einzelne Mitglied für sich allein gar nicht bewältigen könnte.

Kein Wunder also, dass Forscher hier sogar von einer speziellen "Schwarmintelligenz" sprechen. Genau hier fangen die wirklich interessanten Fragen erst an: Handelt dieser Zweckverband von anonymen Mitgliedern nun egoistisch, weil jeder nur seine eigenen Ziele, wie etwa das Schutzbedürfnis, befriedigen will, oder gar altruistisch, weil niemand zurückgelassen wird, getreu dem Motto: Einer für alle, alle für einen? Ist das wirklich eine spezielle Form von Intelligenz, oder reagieren die Tiere doch nur triebgesteuert auf unterschiedliche Umweltreize? Nicht nur Computerspezialisten wie Craig Reynolds sind sich sicher, dass wir Menschen viel von diesen Schwarmtieren lernen können. Schon heute werden einige dieser Erkenntnisse umgesetzt. Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass sich eine Panik bei Evakuierungen erfolgreich vermeiden lässt, wenn einige wenige Ordner mit gutem Beispiel vorangehen und sicher sowie zielstrebig zu den verschiedenen Notausgängen gehen.

(RP)
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