Wissenschaftler bestätigen: Ohne Lügen geht es nicht Unwahrheiten gehören zur sozialen Intelligenz

Hamburg (rpo). Wer öfter mal zur Notlüge greift, liegt damit gar nicht so falsch. Wissenschaftler haben bestätigt, dass ein bisschen Unwahrheit zur sozialen Intelligenz gehört. Man kann also eigentlich gar nichts dafür...

"Der Beste muss mitunter lügen. Zuweilen tut er's mit Vergnügen", heißt es bei dem satirischen Dichter Wilhelm Busch. Wer beim Lügen stets ein schlechtes Gewissen hat, mag nun Entlastung finden bei Psychologen, Anthropologen und Neurobiologen. Sie erklären anhand neuer Forschungserkenntnisse: Lügen ist ein essenzieller Bestandteil unserer sozialen Intelligenz. Ja, die im Umgang mit Menschen notwendige Fähigkeit, die Lügen anderer zu erkennen, und die gleichzeitige Perfektionierung der eigenen können nach diesen Erkenntnissen sogar die Triebfeder für die stammesgeschichtliche Entwicklung dieser Intelligenz gewesen sein.

Manche Experten sind auch der Auffassung, dass der Mensch die "Vergrößerung seines Gehirns im Endeffekt dem evolutionären Druck verdankt, immer raffinierter schwindeln zu müssen", heißt es in einem Beitrag der neuesten Ausgabe des Magazins "Gehirn & Geist" (Heidelberg). Neue Befunde der Gehirnforschung bestätigen jedenfalls, dass Lügen eine beachtliche intellektuelle Leistung ist. Untersuchungen Daniel Langlebens von der Pennsylvania School of Medicine (USA) mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) haben gezeigt, dass sich die Aktivität in bestimmten Hirnbereichen immer dann signifikant erhöhte, wenn die Versuchspersonen logen.

Beim Lügen wird im Hirn etwas unterdrückt

Besonders auffällig war der Aktivitätsanstieg im vorderen Gyrus cinguli und in der präfrontalen Großhirnrinde. Beide Bereiche bestimmen wesentlich mit, welche Gedächtnisinhalte letztlich ins Bewusstsein gelangen. Der erste Bereich steuert die Aufmerksamkeit und dient der Impulskontrolle. Im zweiten dagegen sitzt die hemmende Instanz des Gehirns. Langleben: "Offensichtlich muss man, um eine Lüge auszusprechen, etwas unterdrücken. Und dieses Etwas ist dann wohl die Wahrheit." Jeder Verstoß gegen das 8. Gebot der Bibel verlangt also offenbar von den Neuronen eine vermehrte Anstrengung. Es liegt die Vermutung nahe, dass Aufrichtigkeit sozusagen der kognitive Normalzustand ist, stellt der Bericht fest.

Insgesamt gesehen nimmt die Forschung der Lüge Stück für Stück ihren negativen Nimbus. Viele Anthropologen meinen, das so ausgeprägte menschliche Talent für subtile Finten und gerissene Betrügereien sei keineswegs eine bedauerliche Fähigkeit. "Die Wahrheit zu sagen ist moralisch überbewertet", meint der Philosoph und Erziehungswissenschaftler David Nyberg von der University of New York. "Ohne Täuschung und Irreführung wäre unser komplexes Beziehungsleben völlig undenkbar."

Lügen dienten dem persönlichen Profit

Bei alle dem weiß die Forschung auch, dass Lügen vor allem dem persönlichen Profit und der Übervorteilung anderer dient, konstantiert der "Geist & Gehirn"-Beitrag. Die neue Kenntnis erteile auch kaum eine Absolution für Betrügereien mit krimineller Absicht - "die moralische Beurteilung des Lügners kann uns die Wissenschaft nicht abnehmen."

So werden denn auch in anderen Darstellungen der Lügenproblematik zusätzliche Aspekte verdeutlich - vor allem ethische, aber zum Teil auch praktische. Manche Texte verweisen zum Beispiel auf die so genannte Schadenslüge, mit der zwar keine kriminelle Absicht verbunden zu sein braucht, mit der aber ein anderer Mensch mehr als nur übervorteilt wird, nämlich geschädigt - wenn vielleicht auch nur immateriell.

Eine subtile Analyse in der neuesten Ausgabe der evangelischen Zeitschrift "Zeitzeichen" (Berlin) erwähnt auch die Nutzlüge - eine Lüge, die zum Nutzen eines anderen geschieht, aber durchaus nicht unproblematisch ist. Hier besteht nämlich auch die Gefahr, dass die Erwartung des anderen enttäuscht wird. Wenn er Wahrheit erwartet, soll man dem entsprechen oder sich ihm entziehen? Ärzte befinden sich Patienten gegenüber gelegentlich in einem solchen Dilemma.

Auffassungen wie der von David Nyberg stellt sich der lapidare Befund des Katholischen Erwachsenen-Katechismus entgegen: "Wahrheit baut Gemeinschaft auf. Lüge zerstört sie". Er könnte in diesem Kontext konkret die Frage aufwerfen, ob etwa das Miteinander in einer Familie oder einem Betrieb, einem Verein oder einer Sportmannschaft auch mit "Täuschung und Irreführung" funktionieren kann.

Eine Äußerung des russischen Dichters Maxim Gorki fügt der Problematik Wahrheit und Lüge eine psychologische Dimension hinzu: "Die Lüge ist die Religion der Knechte und Herren, die Wahrheit ist die Gottheit der freien Menschen."

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