Bewegender Bildband Unheimlich ähnlich — Menschenaffen wie wir

Düsseldorf (RP). Ein Gorilla frisst Mais. Er nagt die Körner nicht grob vom Kolben, sondern pult sie mit den Fingern vorsichtig frei und betrachtet sie in seiner Handfläche, ehe er die gelben Knicker verspeist. Dieser Gorilla wirkt nicht wie ein instinkthöriges, gefräßiges Tier, sondern wie ein stiller Genießer. Fast wie ein Mensch.

Bildband "Menschenaffen wie wir"
16 Bilder

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Seltsam auch, wie vertraut einem der Gesichtsausdruck des Zwergschimpansen erscheint, der die Augen geschlossen hat, den Mund entspannt. Zufrieden wirkt diese Miene, heiter, gelassen. Was mag hinter der faltigen hohen Stirn des Tieres vorgehen: Begriffloses Empfinden, das nie Ausdruck finden wird in Sprache? Stille? Nichts?

Wer sich in die Fotos von Affen vertieft, wird schnell angerührt von der frappierenden, ja fast beunruhigenden Ähnlichkeit zwischen Affe und Mensch, und er wird sich bald dabei ertappen, wie er humane Empfindungen in die Tiere projiziert. Es scheint ja auch so leicht, Zufriedenheit, Wut, Trauer, Schalk aus ihren Mienen abzulesen. Kennen wir doch das Krausziehen der Stirn, das Schmunzeln des Mundes, den in die Ferne gerichteten Blick der Melancholie. Wissen wir diese Signale doch innerhalb der eigenen Spezies zu deuten. Affen, so scheint es, sind uns emotional ganz nah.

Und wenn dann noch ein Gorilla-Weibchen sein Junges an die Brust legt, es zärtlich in den Schlaf wiegt, wer wäre nicht gerührt von dieser ins Tierreich gespiegelten Familienidylle?

Ein Bildband geht der Ähnlichkeit zwischen Mensch und Affe nun nach. In "Menschenaffen wie wir" hat die Dortmunder Tierfotografin Jutta Hof Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos porträtiert, die sie in verschiedenen Zoos beobachten konnte. Entstanden sind erstaunliche Porträts, die weniger über das Leben der Tiere in Gefangenschaft Auskunft geben, als vielmehr Studien ihrer Gesichtsausdrücke und Körpersprache sind. Und immer wieder durchzuckt den Betrachter der Gedanke: ganz wie der Mensch.

Diese Ähnlichkeit beschäftigt den Homo sapiens von alters her. Die Ägypter verehrten Paviane als Götter, mumifzierten sie gar nach ihrem Tod. Im Mittelalter führten Gaukler Affen mit sich und stellten sie auf Märkten aus. Halb teuflisch erschien den Staunenden jener Zeit die Ähnlichkeit zu den Menschen — eine Anmaßung der Tierwelt, schuf Gott doch nur den Menschen nach seinem Ebenbild. Doch war es eben auch eine Belustigung, die wendigen Tiere zu beobachten. Wie komisch erst, wenn sie in menschliche Kleider gesteckt wurden. Sympathien stellten sich ein. Der Volksmund erfand Begriffe wie "sich einen Affen antrinken" oder als Paradies für faule Feinschmecker das "Schlur-affenland".

Mythen um Menschenaffen

Immer fantastischer wurden die Vorstellungen über Wesen und Fähigkeiten der Affen, als die Europäer begannen, ihre Schiffe um die Welt zu schicken und im Seemannsgarn der Heimkehrer auch Gorillas und Schimpansen aufregende Rollen bekamen. Erst mit dem Wirken des schwedischen Naturwissenschaftlers Carl von Linné kam Ordnung in die Sache. Linné gab der Tier- und Pflanzenwelt mit seiner "binären Nomenklatur" systematische Namen und fasste 1758 mehrere Gattungen zu den "Primates" zusammen: Homo (Mensch), Simia (Affen) und Lemur (Halbaffen). Der Mensch bekam den Beinamen "sapiens"; die erste Gattungsgrenze war damit errichtet.

Hundert Jahre später schrieb Charles Darwin ein revolutionäres Buch über "Die Entstehung der Arten" und beschrieb darin die Mechanismen der Evolution. Darwin zeichnete nach, wie die Vielfalt der Organismen sich aus Urformen entwickelte. Auf einmal war der Mensch nicht mehr der einzigartige Paradiesvertriebene, sondern ein Verwandter der Affen, wenn der Entdecker der Evolution das anfangs auch nur vorsichtig andeutete. "Darwin kehrte den Abstieg von den Engeln um in einen Aufstieg von den Affen", schreibt Volker Sommer, Professor für Evolutionäre Anthropologie in London in seinem Begleittext zu den Fotos von Jutta Hof. Natürlich provozierte das Widerspruch. Behaarte Baumbewohner als Vorfahren — Freud nannte das "eine Kränkung der Eigenliebe der Menschheit". Einige haben diese Kränkung bis heute nicht überwunden.

Dabei haben sich die Primaten im Laufe der Evolution als äußerst anpassungsfähig und damit erfolgreich erwiesen. Fasziniert kann der Mensch also auf sein gemeinsames Erbe mit den Affen schauen und dabei viel über sich selbst lernen. Primaten bringen ihren Nachwuchs lebend zur Welt, ernähren ihre Jungen durch Milch aus der Brust der Mütter, als Erwachsene wechseln sie einmal das Gebiss. Verglichen mit Säugetieren ähnlicher Größe bekommen sie wenig Nachwuchs, kümmern sich dafür lange um ihn, die Fortpflanzung zielt auf Qualität statt Quantität.

Außergewöhnlich ist natürlich das Klettertalent der Affen. Sie haben die Greifhände und -füße für ein Leben auf den Bäumen, sind fingerfertig und geschickt. Menschenaffen können zudem den Daumen frei bewegen, damit präzise zugreifen, Gegenstände festhalten, Werkzeuge benutzen. Hoch entwickelt ist auch ihr Sehvermögen. Anders als bei anderen Säugern stehen die Augen bei Affen so dicht nebeneinander, dass sich die Sichtfelder überlappen. So können sie dreidimensional sehen, sogar in Farbe, und können Entfernungen genau einschätzen.

All das hat sie auf Bäumen wie am Boden unter wechselnden klimatischen Bedingungen überlebensfähig gemacht. Wer Affen je auch nur im Zoo beobachtet hat, wie sie mit traumhafter Sicherheit über Klettergerüste fliegen, kann nur voller Bewunderung auf den Stammbaum des Homo sapiens blicken.

Und doch lässt den Menschen gerade im Angesicht des Affen die Frage nach der Differenz nicht los. Wohl, weil darin die eigentliche Frage schlummert: Was macht den Menschen aus?

Seit Evolutionsforscher auch die Methoden der Genetik nutzen können, hat sich die Erkundung des kleinen Unterschieds enorm verfeinert. Seither weiß man, dass die Erbsubstanz von Mensch und Affe zu knapp 99 Prozent identisch ist. Doch sagt die Zahl solange nur wenig, bis geklärt ist, welche Auswirkungen das eine Prozent Unterschied hat.

Mit einem Puzzlestück dieser Differenz beschäftigt sich der Biologe Wolfgang Enard vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er und seine Kollegen erforschen das sogenannte "Sprachgen" FOXP2, das wohl dafür verantwortlich ist, dass Schimpansen, aufgenommen in eine Menschenfamilie, zum Beispiel durchaus lernen können, einen Tisch ordentlich abzuräumen, nicht aber zu sprechen.

"Die Kognition einiger Affen ist durchaus so komplex wie die eines Kleinkinds von zwei Jahren", sagt Wolfgang Enard, "man kann ihnen etwa beibringen 250 Zeichen wie Banane, Schlüssel, Tür sinnvoll zu verwenden, aber es kommt dann nicht zu einer Sprachexplosion wie beim Kleinkind."

(RP)
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