Umweltverschmutzung Vorsicht, giftig

Düsseldorf · Umweltgifte reichern sich im Gewebe von Eisbären an. Forscher nutzen die Tiere als lebende Sensoren.

Foto: picture alliance / imageBROKER/Russell Millner

Dort wo Eisbären leben, wohnen meist nur wenige Menschen. Trotzdem werden die Tiere zu einem Sammelbecken für Umweltverschmutzung. Denn viele Gifte des Alltags haben die Polarregion erreicht. Eisbären speichern den Giftcocktail in ihrem Blut und im Fettgewebe, sie dienen unfreiwillig als lebende Sensoren für die Wissenschaft. Jonathan W. Martin von der Universität Stockholm untersucht deshalb regelmäßig das Bärenblut auf seine Belastung mit Schadstoffen. Der Toxikologe und Umweltchemiker entwickelt neue Messverfahren und wird so zum Buchhalter der globalen Umweltbelastung.

Die neuen Ergebnisse, die Martin Anfang Dezember in der Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ vorstellt, lassen aufhorchen. Der Schwede entdeckt im Blut höhere Konzentrationen an perfluorierten Kohlenwasserstoffen (PFC). Diese Industriechemikalien werden beispielsweise in der Textil- und der Verpackungsbranche verwendet, um die Eigenschaften von Oberflächen zu verbessern. Mit PFC beschichtete Materialien sind beliebt, denn sie weisen sowohl Wasser als auch Fett ab. Dass sich diese Chemikalien in der Umwelt anreichern, ist schon länger bekannt. Doch nach Martins Messungen hat sich deren Konzentration im Eisbärenblut binnen acht Jahren etwa verdoppelt. Bei Bären aus der Beaufortsee verdoppelte sich die Belastung sogar innerhalb von nur vier Jahren. Diese Region des Nordpolarmeers wird besonders intensiv von Luftmassen beeinflusst, die aus China stammen.

Solche Reste von nicht abbaubaren Chemikalien im Eisbärblut kennen die Forscher seit den 1970er Jahren. Inzwischen wurde für einige der schwer abbaubaren Chemikalien durch die Stockholmer Konvention sowohl Produktion als auch Verwendung verboten oder stark eingeschränkt. Das gilt beispielsweise für PCB (Polychlorierte Biphenyle), doch Martins Messungen zeigen, dass bei dieser Substanzklasse trotz des Verbots noch keine Effekte im Eisbärenblut zu beobachten sind. Auch für einzelne Substanzen in der großen Gruppe der PFC gibt es Regulierungen: Die Verwendung von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) ist seit 2010 in Europa verboten, ab 2020 darf Perfluoroctansäure (PFOA) nicht mehr eingesetzt werden. Doch das sind nur zwei Substanzen von vielen. Nach Einschätzung des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) haben sich die Chemikalien bereits soweit verteilt, dass die Verbraucher die Aufnahme von PFOA und PFOS über Lebensmittel kaum beeinflussen können. Das BfR sieht für diese und andere PFC deshalb einen hohen Forschungsbedarf zur Entwicklung besserer Messtechniken für die verschiedenen PFC und zur konkreteren Abschätzung bereits bekannter Gesundheitsgefahren.

Nach allem, was die Forscher auch aus anderen Untersuchungen bisher wissen, gibt es zwei Quellen für die PFC-Belastung: Die zahlreichen Industriebetriebe, die mit diesen Substanzen arbeiten und Abgase und Abwässer zu schlecht säubern. Und die Produkte, die von den Verbrauchern verwendet werden. Die langlebigen Chemikalien werden beispielsweise während des Waschens in der Waschmaschine freigesetzt. Oft enthalten Kleidungsstücke und Leder mehr PFC als nötig. Dann dünsten die Produkte die Chemikalien aus. Als das Umweltbundesamt im Jahr 2011 in einem Screening-Programm die Belastung verschiedener Arbeitsplätze untersuchte, fielen einige Geschäfte für Outdoor-Bekleidung besonders unangenehm auf. In einem Geschäft war die Konzentration an Perfluoroctylethanol in der Luft fast 40mal höher als in einer Autolackiererei.

Chemiker der Universität Bayreuth haben bereits vor zehn Jahren gemessen, wie sich die verschiedenen Typen der polyfluorierten Kohlenwasserstoffe über die Luft weltweit ausbreiten. Dazu installierten sie spezielle Filter als Dauermessstationen in Hamburg und an Bord von Forschungsschiffen, die in atlantischen und antarktischen Gewässern sowie in der Nord- und Ostsee unterwegs waren. 14 Monate dauerten die Messungen. Die Bayreuther Wissenschaftler fanden in jeder Luftprobe Spuren der PFC. Im Hamburg war die Luftbelastung deutlich höher als in den Polarregionen, wo nur sehr geringe Mengen an PFC gemessen wurden. Aber richtig saubere Luft gibt es nicht mehr. Die wichtigste Chemikalie aus der breiten Palette der PFC ist Perfluoroctylethanol (8:2 FTOH). Sie machte bei den Messungen der Bayreuther 80 Prozent der Belastung aus. Diese Substanz dient als einer der Grundstoffe, mit denen Textilien und Lebensmittelverpackungen und Teppiche beschichtet werden, damit sie Wasser und Fett abweisen. Nach den Berechnungen der Forscher kann Perfluoroctylethanol bis zu 60 Tage in der Atmosphäre bleiben – genug Zeit für eine Reise um die Welt. Einmal in der Umwelt erweisen sich die PFC als sehr stabil: weder Sonnenlicht, noch Bakterien, Wärme oder Kälte zersetzen die Stoffe.

Aus etwa der gleichen Zeit stammen Messungen zur Belastung des Wassers in Nord- und Ostsee mit der Chemikalie. In einem europaweiten Projekt nahmen Chemiker an 55 Stellen Wasserproben. Das Ergebnis: In der Ostsee haben sich die polyfluorierten Kohlenwasserstoffe bereits gleichmäßig verteilt, in der Nordsee ist der Austausch größer. Dort gibt es ein Gefälle von der Küste in Richtung des offenen Meeres. Für einige Substanzen dieser Chemikalienklasse konnten die Chemiker messen, dass sie über Rhein und Elbe in die Nordsee transportiert werden.

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