Trinkwasser WHO gibt Entwarnung bei Mikroplastik

Genf · Die Weltgesundheitsorganisation sieht bisher keine Gefahr für den Menschen durch winzige Plastikteilchen. Das könnte sich jedoch bald ändern.

 In keinem anderen Land wird das Leitungswasser so akribisch kontrolliert wie in Deutschland.

In keinem anderen Land wird das Leitungswasser so akribisch kontrolliert wie in Deutschland.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Niemand würde Plastik freiwillig essen und dennoch nehmen wir es täglich zu uns. In kleinen Mengen. Mikroplastik nennen Wissenschaftler diese kleinen Partikel, die mitunter in unserer Nahrung oder unserem Trinkwasser zu finden sind. Sie stehen im Verdacht, gesundheitsschädigend zu sein – wenngleich es dazu noch keine Studien gibt, die das beweisen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hält sogar ein Verbot von Kunststoffgranulat auf Kunstrasenplätzen für unausweichlich. Derweil kommt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun in einem Bericht zu der Erkenntnis: „Basierend auf den begrenzt verfügbaren Informationen, scheint Mikroplastik im Trinkwasser auf dem jetzigen Niveau kein Gesundheitsrisiko darzustellen.“ Doch es bedürfe dringend weiterer Forschung.

Tatsächlich ist das Wissenschaftsfeld noch sehr jung. Selbst eine einheitliche Definition, wann man nun von Mikroplastik spricht, gibt es nicht. Meist sind Teilchen mit einer Größe von unter fünf Millimetern gemeint. Entscheidend für die Forschung ist, wann der menschliche Körper die Plastikpartikel oder deren Bestandteile aufnimmt, sie also in den Zellen einlagert. Die WHO geht davon aus, dass eine Aufnahme von Mikroplastik oberhalb einer Größe von 0,15 Millimetern sehr unwahrscheinlich ist. Zudem gebe es lediglich eine „limitierte Absorption kleinerer Partikel“.

„Gesunde Haut oder Schleimhaut stellt tatsächlich eine recht effiziente Barriere gegenüber größeren Teilchen dar“, sagt Hanns Moshammer, Fachgebietsleiter Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. „Ich würde die Teilchengröße, bei der eine Aufnahme möglich ist, sogar noch niedriger ansetzen.“ Primär sehe er die Gefahr von Mikroplastik eher für Ökosysteme als für die menschliche Gesundheit, sagt Moshammer.

Vor allem unser Trinkwasser steht immer wieder im Verdacht, mit gefährlichen Plastikpartikeln angereichert zu sein. Dabei ist Deutschland bei der Trinkwasseraufbereitung federführend. In keinem anderen Land gibt es saubereres Wasser aus dem Hahn (vorausgesetzt, dieser ist nicht verschmutzt). „Für den Menschen ist der wichtigste Aufnahmepfad für Mikroplastik derzeit sicher nicht das Wasser, sondern Kosmetika und Zahnpasten, wobei ich unmittelbare Gesundheitsrisiken hier eher ausschließen würde“, sagt Moshammer. In Kosmetika werden Plastikteilchen beispielsweise bewusst als Füllstoffe eingesetzt. Plastik ist weicher und somit haut- beziehungsweise schleimhautverträglicher als mineralische Stoffe. „Trotzdem haben wir vor dem Plastikzeitalter problemlos auch mineralische Füllstoffe verwendet, zum Beispiel Kalkmehl in Zahnpasten“, erklärt Moshammer.

Die WHO fordert in ihrem Bericht dennoch eine zusätzliche Filterung des Abwassers. Dadurch könnten 90 Prozent des Mikroplastiks sowie andere gesundheitsschädliche Substanzen wie Chemikalien und Bakterien aus dem Wasser entfernt werden. Problematisch sei dann vielmehr die Beseitigung des Mikroplastiks aus den Kläranlagen, sagt Martin Wagner, Professor für Biologie an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens in Trondheim. „Das gilt auch für Anlagen in Deutschland.“ Das Problem hierbei sei, dass sich das Mikroplastik im Klärschlamm befinde und wieder in die Umwelt gelange, wenn der Klärschlamm zur Düngung in der Landwirtschaft genutzt werde.

„Wir gehen davon aus, dass die Plastikmengen in der Umwelt steigen werden, wenn wir so weitermachen wie bisher“, mahnt Wagner. „Das bedeutet, dass Plastikhersteller, Handel, Politik und Gesellschaft bereits jetzt handeln müssen. Gemeinsam müssen wir verhindern, dass all die wertvollen Kunststoffe in die Umwelt gelangen. Das ist keine Frage der Gesundheit, sondern des gesunden Menschenverstandes.“

Dem aktuellen Plastikatlas des BUND zufolge werden über 400 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr weltweit hergestellt, zwischen 1950 und 2015 waren es insgesamt 8,3 Milliarden Tonnen. Nicht einmal ein Zehntel davon sei recycelt worden. Mehr als ein Drittel der hergestellten Kunststoffe wird für Verpackungen verwendet. Schätzungen zufolge werden rund 40 Prozent der Plastikprodukte in weniger als einem Monat zu Abfall.

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