Giftige Pflanzen Wenn die Blaubeere zur Vogelbeere wird

Eine aktuelle Studie zeigt: Beim Giftnotruf spielen Pflanzen nach wie vor eine große Rolle. Doch oft ist die Gefahr kleiner als vermutet. Was bei Vergiftungen zu beachten ist.

 Die Eberesche wird auch Vogelbeere genannt.

Die Eberesche wird auch Vogelbeere genannt.

Foto: shutterstock/LianeM

Schon der britische Schriftsteller Aldous Huxley vermutete: „Schönheit ist gefährlicher als Wein.“ Und in Bezug auf einige Pflanzen lag er damit durchaus richtig. Denn Eisenhut, Tollkirsche und Engelstrompete etwa sind eine Zierde für den Garten, doch ihr Gift sollten wir lieber meiden.

Wie jetzt ein Forscherteam um Toxikologen und Reisemediziner Sebastian Wendt vom Universitätsklinikum Leipzig herausgefunden hat, gehören Pflanzen zu den Top 3 der Giftverdachtsmeldungen in Deutschland. Knapp hinter Arzneimitteln und Chemikalien. Aber deutlich vor den Pilzen, denen man als Laie eher eine Führungsrolle bei möglichen Vergiftungen zugetraut hätte. Bei Kindern beziehen sich rund 15 Prozent der Anfragen, die an einem der deutschen Giftzentren eingehen, auf den Kontakt oder Verzehr einer Pflanze. Was einerseits daran liegt, dass Kinderhände in der Natur schnell zugreifen und das betreffende Objekt auch schon mal gerne in den Mund schieben.

Darüber hinaus bescheinigen die Wissenschaftler der Bevölkerung aber auch „einen hohen Informations- und Aufklärungsbedarf“ zu dem Thema. Es scheint vielen Eltern, Lehrern aber auch Ärzten ein Basiswissen dazu zu fehlen, was in der Pflanzenwelt hierzulande als wirkliche Gefahr einzustufen ist – und deswegen rufen sie oft beim Giftnotruf an, obwohl das eigentlich nicht nötig wäre. So berichtet Carola Seidel, stellvertretende Leiterin der Informationszentrale gegen Vergiftungen am Uni-Klinikum Bonn, von der Anfrage einer besorgten Lehrerin, was sie denn jetzt tun müsse, denn eines ihrer Schulkinder hätte zwei unreife Kirschen gegessen. „Dabei dürfte es nirgendwo einen plausiblen Bericht dazu geben, dass sich schon einmal jemand auf diese Weise vergiftet hätte“, so Seidel. In einem anderen Anruf berichteten Eltern davon, dass ihr Kind Vogelbeeren gegessen hätte. Woraufhin die Ärztin nach der Farbe der Früchte fragte. „Die Antwort lautete: Blau“, so Seidel. „Und da war klar: Es konnte sich nicht um eine Vogelbeere handeln.“ Ganz zu schweigen davon, dass selbst die nur schwach giftig ist, so dass man sehr große Mengen davon verzehren muss, um davon Probleme zu bekommen. „Und das passiert“, betont die Oberärztin, „in der Realität, nicht zuletzt wegen des bitteren Geschmacks der Beere, ausgesprochen selten.“

Auch die oft zu hörende Theorie, wonach der Klimawandel hierzulande die Verbreitung neuer Giftpflanzen gefördert hätte, kann Seidel aus ihrer Arbeit beim Giftnotruf nicht bestätigen. Es gebe zwar jetzt ein paar Pflanzen wie die ursprünglich aus Afrika stammende Glücksfeder, die früher keine Rolle bei uns spielte und jetzt als starker Schleimhautreizer in Erscheinung tritt. „Doch ansonsten haben wir bei uns seit Jahrzehnten die üblichen Verdächtigen, die für Vergiftungen sorgen“, betont Seidel. Wie etwa die Tollkirsche, die mit essbaren Beeren verwechselt werden kann. Oder auch die Herbstzeitlose, die jedes Frühjahr aufs Neue für Vergiftungen sorgt, weil sie so ähnlich aussieht wie der gerne gesammelte Bärlauch.

Auch in puncto Erste Hilfe bei Pflanzenvergiftungen kursieren hierzulande viele Irrtümer. So hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass man einem Kind, sofern es an einer Giftpflanze genascht hat, den Finger in den Hals stecken oder konzentriertes Salzwasser zu trinken geben sollte, um es zum Erbrechen zu bringen. „Doch dabei werden letzten Endes nur relativ geringe Giftmengen entfernt, vielleicht zehn bis 20 Prozent“, betont Seidel. Zudem könne Salzwasser zu lebensbedrohlichen bis tödlichen Vergiftungen führen, und die in Apotheken erhältlichen Sirupe zum Auslösen des Brechreizes sollten ebenfalls nicht mehr zum Einsatz kommen, weil sie fulminante Schleimhautreizungen und ein andauerndes Erbrechen auslösen können.

Selbst die Magenspülung wird heute nur noch sehr selten angewandt. „Ich habe in meinen über 20 Jahren beim Bonner Giftnotruf erst ein einziges Mal dazu geraten – und das war nicht bei einer Pflanze, sondern bei einem Selbstmordversuch mit Rattengift“, betont Seidel. Im Krankenhaus werde es allerdings noch gelegentlich durchgeführt, auch nach dem Verzehr problematischer Pflanzen. „Vor einigen Tagen haben wir damit Eibennadeln aus dem Magen eines achtjährigen Mädchens entfernt.“

Für Eltern, Kindergärtner und Lehrer reicht es hingegen in der Regel, bei einem möglichen pflanzlichen Vergiftungsfall etwas zu trinken zu geben. „Das darf auch Milch sein, wenn das Kind Milch bevorzugt“, so Seidel. „Denn deren Fettgehalt ist mittlerweile oft so niedrig, dass sie kaum noch – was ja weithin als Nebenwirkung genannt wird – die Resorption fettlöslicher Gifte unterstützen kann.“ Prinzipiell sind Tee, Wasser oder Saft ideal, in erster Linie geht es darum, per Verdünnung die Reizwirkung der problematischen Substanzen zu lindern.

Nicht zu vergessen schließlich, dass natürlich schon im Verdachtsfall eines Kontakts mit einer giftigen Pflanze der Giftnotruf kontaktiert werden kann. „Da gilt der Satz: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, betont Seidel. Aber er gelte eben nicht, wenn ein Kind zwei unreife Kirschen gegessen hat.

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