Düsseldorf "Theater ist ein Marktplatz der Meinungen"

Düsseldorf · Noch führt Wilfried Schulz das Dresdner Schauspiel. Ab 2016/17 will er als Intendant Düsseldorf politisieren und revitalisieren.

Der Wind weht ihn in die Morgenkonferenz der Rheinischen Post hinein. Zerzaust ist Wilfried Schulz nur haartechnisch, die Gedanken fasst der Gast messerscharf, sein Konzept für das Düsseldorfer Schauspielhaus, das er ab der Spielzeit 2016/17 leiten wird, hat er klar vor Augen. Im Dialog mit Journalisten aus Sport, Wirtschaft, Politik, Vermischtem und Kultur trägt er vor, was die Gesellschaft grundsätzlich als Nahrung, als Kost, von einem Theater erwarten darf.

"Das Theater ist der Marktplatz der Meinungen", sagt Schulz und zeigt in die Runde. Diese Aufgabe, "Teil eines öffentlichen Diskurses zu sein", übernähmen Theatermenschen und Journalisten gleichermaßen. Ein Theater sei nicht nur ein Ort des Spektakels, sondern ein Ort des Nachdenkens, fährt er fort. Er hat die politisch und gesellschaftlich brisanten Fragen, die auf der Bühne ihren Widerhall finden müssen, sehr konkret vor Augen. Noch ist Schulz Intendant in "Pegida-Land" - Dresden ist das Zentrum der Bewegung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Später wird Schulz sagen, als wie furchterregend er es einschätzt, dass bei "Pegida" erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg bürgerliche Menschen an der Seite von Neonazis marschieren.

Das Staatsschauspiel in Dresden sei groß und schön, sagt Schulz. Die Aufgaben würden angesichts der "Pegida"-Bewegung zunehmend politischer. Von seinem Büro aus kann er die seit Oktober 2014 montags stattfindenden Demonstrationen verfolgen, er hört die "Ausländer-raus!"-Rufe der Masse, die auch "Lügenpresse" skandiert. Dagegen muss man als Theater im Verbund mit den anderen Künsten vorgehen. So ist es geschehen in Dresden. Schulz hat mehr als Impulse gesetzt, ist initiativ geworden.

Theater muss sich mit seinen eigenen Mitteln behaupten, daran glaubt er. Das Analoge des Theaterraumes, das Wahrhaftige, das Direkte wird nie langweilig. Auch wenn das Netz mit seiner Öffentlichkeit und Schnelligkeit immer mehr Aufmerksamkeit der Menschen abziehe und das Übermaß der TV-Talkshows auf sie einwirke. "Das Talken übernimmt eine Stellvertreterfunktion, so dass immer mehr Menschen nicht mehr selber reden, sondern reden lassen." Scheingefechte lösen keine Probleme.

Schulz fordert für den Ort Charakter und Funktion der altgriechischen Agora - das war der zentrale Platz einer Polis, auf dem Feste und Veranstaltungen liefen. Das Volk stimmte sich auf der Agora ab, der Ort war identitätsstiftend. Schulz' Agora ist das Düsseldorfer Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz - ein traditionsreiches Haus und eines der größten in Deutschland, ausgestattet mit einem 23-Millionen-Etat, unterstützt von der Stadt und vom Land NRW zu gleichen Teilen. Die vergangenen Intendanzen waren eher unglücklich, das Haus droht zu verelenden. Vor allem was den Zuschauerzuspruch angeht, liegt es in einer tiefschwarzen Depression. "Ich hoffe, dass ich dieses Haus da herausführen kann", sagt Schulz, "und dass es zum lebendigen, intellektuellen und reflektierenden Zentrum der Stadt wird." Dabei hat er Theater als die moralische Anstalt im Blick. "Ich glaube, je größer die Defizite in der Gesellschaft werden, desto stärker müssen wir Haltung beziehen. Sie als Journalisten und wir als Künstler sind Brüder im Geiste. Bei uns ist das Verhältnis von Inhalt und Haltung dazu mit einem großen Schwergewicht auf Haltung versehen." Was ihn bewege, sagt Schulz, seien die Differenzen in der Gesellschaft, die Fragen nach Heimat und Fremde, nach arm und reich. Die Konflikte würden dramatischer, auch in Düsseldorf.

Schulz' künstlerisches Grundgesetz des Theaters liest sich emphatisch: "Theater ist nicht dazu da, dass man sich den ganzen Abend bestätigen lässt, sondern dass man lernt, Differenzen zu ertragen. Theaterleute müssen sich fragen, wie sie ihre Geschichten erzählen. Sie wagen Modelle, probieren aus, ohne Recht haben zu wollen. Theater ist, so wie ich es sehe, diskutabel, verhandelbar. Theater ist ein Lernort für die Empathie, eine unserer Kernkompetenzen."

Noch ist Wilfried Schulz ein Diener zweier Herren: Einen Tag ist er in Düsseldorf, die anderen Tage in Dresden, wo er als Intendant alle Hände voll zu tun hat. Er wird nach langer Zeit der erste Düsseldorfer Prinzipal sein, der nicht selber inszeniert. Bisher hat der als Heilsbringer gehandelte Mann nicht genug Zeit, über die Eröffnungsinszenierung nachzudenken, er ist zu stark in Strukturfragen involviert. Mühsam sei das alles, die Diskussionen um Wirtschaftsplan, um Finanzierung und Sanierung, um die Gestaltung des Gustaf-Gründgens-Platzes. Aber er sei freudig erregt bei der Sache. Nur "liebevoll-kritisch" erwähnt er ein paar Missstände: "Die Eintrittskarten sind zu teuer, es gibt kaum einen Platz unter 30 Euro, was nicht sein darf." Düsseldorf soll nicht das Theater mit den wenigsten Besuchern und den teuersten Plätzen sein. "Theater ist für alle da", sagt Schulz. "Vom Punker bis zum Banker. Es wird von allen bezahlt und muss für alle bezahlbar sein. Auch von Menschen, die nur über sehr wenig Geld verfügen." Bezahlen müssen wird auch irgendjemand die Dinge, die in dem unter Denkmalschutz stehenden Haus nicht funktionieren. "Man muss so eine wörtlich und wirklich ,wertvolle' Immobilie bewahren, pflegen und sanieren", sagt Schulz. Er schätze den großen Wurf des Architekten Bernhard Pfau, aber es müsse auch gewährleistet werden, dass das schöne weiße Haus funktional und lebendig gehalten werden kann. Panzerglasscheiben vor der Kasse gehörten definitiv nicht mehr zu einem Servicesystem, das alle Besuchergruppen ansprechen will.

"Under construction" steht über den Wochen und Monaten bis zum Dienstantritt von Wilfried Schulz. Ein geistiger und funktioneller Umbau ist in der Planung. Der Mann wird als kluger Retter schon vorab gehandelt. Bei allem partizipativen Anspruch, den er erhebt, bei dem maßgeschneiderten Konzept für die Stadt, die Metropole genannt werden will, vergisst er das Wesentliche nicht, das Herz. Das Schauspiel soll auch Poesie und Sinnlichkeit versprühen, gute Laune sei ausdrücklich vorgesehen. "Wir laden euch ein, mit uns zusammen lustvolle Forschungsreisen zu unternehmen!" Der Puls steigt in Düsseldorf.

(RP)
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