So historisch ist "Game of Thrones"

Das Buch einer Oxford-Professorin beschäftigt sich mit der "historischen Korrektheit" der Fantasy-Welt in der preisgekrönten Serie.

Die amerikanische Fernsehserie "Game of Thrones" ist ein gewaltiger Erfolg. Die Fantasy-Saga, die in einem erfundenen Reich spielt, das sehr stark an das europäische Mittelalter erinnert, hat 136 Millionen Zuschauer weltweit. 2011 wurde die erste Episode ausgestrahlt, und als Vorlage dient die noch unvollendete Buchreihe "Das Lied von Eis und Feuer" von George R. R. Martin aus den USA. Sieben Bände hat er angekündigt, fünf sind bereits erschienen, jeder ist ein Bestseller, und die Fans drängen den Autor über die sozialen Netzwerke, er möge weiterschreiben - bitte noch rascher und bitte mit gleichbleibender Qualität. Soeben ist die siebte Staffel der Verfilmung angelaufen, allein der Trailer, mit dem der Fernsehsender HBO das Ereignis bewarb, wurde im Internet binnen 15 Stunden rund 35 Millionen Mal angeklickt. Die fünf wichtigsten Schauspieler der Serie sollen pro Folge weit mehr als zwei Millionen Dollar Gage bekommen, damit sind sie die bestbezahlten TV-Schauspieler aller Zeiten.

Die Aufmerksamkeit ist so enorm, dass das popkulturelle Phänomen die Weihen der Hochkultur erhält. Selbst ehrwürdige Akademien kommen nicht an "Game of Thrones" vorbei. An der kalifornischen Universität in Berkeley kann man neuerdings die Dothraki-Sprache erlernen, die von einem Reitervolk in der Serie gesprochen wird. Und in Oxford prüft die renommierte Literaturwissenschaftlerin Carolyne Larrington, Fachfrau für Alt- und Mittelenglische Literatur, wie viel Wahrheit in "Game of Thrones" steckt. Larrington hat ein Buch geschrieben, "Winter is Coming" heißt es, und darin gleicht sie das Verhalten der Figuren von George R. R. Martin mit dem der Menschen in der mittelalterlichen Gesellschaft ab. Fazit: Es gibt einige Parallelen.

Ganz ähnlich wie in der Wirklichkeit jener Epoche zwischen dem Ende der Antike und dem Beginn der Neuzeit - also etwa zwischen dem 6. und 15. Jahrhundert - nimmt der Glaube in "Game of Thrones" eine zentrale Rolle ein. In der Serie ist die Hauptreligion die der "Sieben Götter", jedoch spielen diese eher für das Volk als für die Hoheiten eine Rolle. Besonders die herrschende Adelsfamilie der Lannisters kultiviert eine zynische Haltung der Kirche gegenüber, der echte Adel hätte sich das indes nicht erlaubt. Vielleicht mit einer prominenten Ausnahme: In der Serie kämpft Königin Cersei Lannister gegen die mächtige Flagellantensekte der "Spatzen". Das erinnert die Forscherin aus Oxford stark an den Religionskonflikt zwischen Kaiser Friedrich II. und dem Papst, beziehungsweise den Streit im mittelalterlichen England darüber, wie die weltlichen und geistlichen Gerichtshöfe zueinander stehen sollten.

Je stärker sich Larrington in die Materie eingearbeitet hat, desto mehr Material aus den ihr bekannten, klassischen Mythen- und Sagenstoffen fand sie. Die große Bedrohung aus dem eisigen Norden von Westeros zum Beispiel, dem Haupthandlungsort in "Game of Thrones", ist eine Armee der Untoten, die von sogenannten "Weißen Wanderern" angeführt wird. Mit dem nahenden Winter, der in der fiktiven Serienwelt mehrere Jahre anhalten kann, versuchen sie, sich weiter nach Süden auszubreiten. Dabei steht ihnen allerdings eine gigantische, wenn auch stetig schmelzende Mauer aus Eis im Weg. Die gab es zwar im Mittelalter nicht, dafür aber durchaus das Motiv der untoten Soldaten, die Schrecken und Zerstörung bringen: So soll der mythische Waliserkönig Bran in der Mabinogi-Sage einen Kessel besessen haben, der Tote wieder zum Leben erweckt, die dann allerdings ihr Sprachvermögen einbüßen. In nordischen Überlieferungen sind es die sogenannten "Draugar", die die Lebenden terrorisieren. Ein kleiner Trost: Jene Menschen, die zu einem "Draug" wurden, sollen auch zu Lebzeiten schon unangenehme oder soziopathische Menschen gewesen sein.

Das gesellschaftliche Leben an den verschiedenen, teils bitter verfeindeten Höfen in "Game of Thrones", ist ebenfalls mit dem im Hoch- und Spätmittelalter zu vergleichen - auf wenig erfreuliche Art. Larrington macht deutlich, dass sowohl in der fiktiven "Game of Thrones"-Welt als auch im Mittelalter Frauen in der Hofgesellschaft kaum über ihr Leben und ihren Körper bestimmen durften. Dass das Mädchen Sansa, eine der Hauptpersonen der Serie, in ihrer Hochzeitsnacht einer aristokratisch-inszenierten Ehe vergewaltigt wird, nennt die Autorin "das Schicksal so mancher mittelalterlichen Braut". George R. R. Martin selbst sagte einmal über die sexuelle Gewalt in seinen Büchern, "dass das wahre Grauen der menschlichen Geschichte nicht von Orks und Dunklen Herrschern herrührt, sondern von uns selber".

Moderne Science-Fiction-Romane und teuer produzierte Fantasy-Serien können es sich längst nicht mehr erlauben, ihr Publikum nur bei Liebhabern und Kennern der Genres zu suchen, die bei der Erwähnung von Drachen, magischen Schwertern und frostigen Zombies nicht sofort das Buch weglegen oder umschalten. Bei allem Eskapismus: "Game of Thrones" ist historisch fundiert, bodenständig gewissermaßen, aber eben dadurch so glaubwürdig.

Auch die Klassengesellschaft des Mittelalters findet sich in "Game of Thrones" wieder. Auffällig ist ja, dass in den auf dem Bildschirm aufwendig inszenierten Schlachten vor allem einfache Leute zu Tode kommen. Der Adel bleibt meist unverletzt: "Die Adligen bleiben vom Kampf relativ unberührt, es sei denn, sie befehligen aktiv Truppen im Feld und geraten in Gefangenschaft", so Larrington. Dies sei auch in der historischen Wirklichkeit so gewesen: "Häufiger kam es so, dass sich die Aristokratie in ihre Burgen zurückzog und vom Tor aus den Ausgang des Krieges abwartete." Nicht gerade ritterlich, aber offenbar historisch korrekt, also.

Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass der Realismus der Serie ein Grund für den immensen Erfolg ist. Die Fans selbst suchen ja nach den Wurzeln der Serie. Die kroatische Küstenstadt Dubrovnik etwa, die als Drehort für viele Episoden dient, verzeichnet neuerdings sprunghaft steigende Touristenzahlen. Vor allem junge Leute würden seit ein paar Jahren kommen, heißt es aus den Touristikbüros.

Bei aller Liebe zur Seriosität: Der Enthusiasmus der Fans ist dabei so groß, dass selbst eine Forscherin aus Oxford bisweilen zwischen den Zeilen mit den Augen zwinkert. Die Seitenränder ihres Buches hat Larrington nämlich mit Raben gekennzeichnet. Der Hintergrund: Für Fans ist es das Schlimmste, Informationen vorab zu erfahren, die man lieber erst beim Schauen der Serie selbst vermittelt bekommen möchte. Solche im Voraus preisgegeben Details nennt man "Spoiler", und die Raben warnen in dem wissenschaftlichen Buch auf charmante Art vor solchen Spoilern: Spricht die Autorin nur über einen erst spät eingeführten Nebencharakter, gibt's einen weißen Raben - das ist dann nicht so schlimm. Geht es um eine Stelle in der Serie, in der plötzlich eine totgeglaubte Figur mit einer Armee schwer gepanzerter Ritter auftaucht und eine übermächtige Barbarenhorde niederreitet, flattert ein schwarzer Rabe neben dem Absatz.

In der Serie fungieren Raben übrigens als Brieftauben, die oft schlechte Nachrichten überbringen. So schließt sich der Kreis, und mittendrin stehen einträchtig vereint Wahrheit und Fiktion.

(bur)
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