Prokofieffs witziger Neoklassizismus

Klassik In der Rückschau entpuppt sich unsere Musikgeschichte als Folge eines unablässigen Verdrängungswettbewerbes. Vieles wurde über die Jahrhunderte bewahrt, anderes blieb im Filter der Wahrnehmung hängen, manches wurde erst spät wiederentdeckt - und immer liegt eine Spur Ungerechtigkeit über allem. Warum wird Beethovens geniale 8. Sinfonie weniger häufig gespielt als andere? Es ist interessant, welche Symphoniker wie in Stein gemeißelt auf unseren Programmen stehen, während andere ein Schattendasein fristen.

Klassik In der Rückschau entpuppt sich unsere Musikgeschichte als Folge eines unablässigen Verdrängungswettbewerbes. Vieles wurde über die Jahrhunderte bewahrt, anderes blieb im Filter der Wahrnehmung hängen, manches wurde erst spät wiederentdeckt - und immer liegt eine Spur Ungerechtigkeit über allem. Warum wird Beethovens geniale 8. Sinfonie weniger häufig gespielt als andere? Es ist interessant, welche Symphoniker wie in Stein gemeißelt auf unseren Programmen stehen, während andere ein Schattendasein fristen.

Bei Mozart beginnt unsere Zeitrechnung erst ab der 35. Sinfonie, bei den Stücken des englischen Komponisten Ralph Vaughan Williams hingegen steckt eine große Schwarzblende vor unserer Wahrnehmung. Auch bei dem russischen Komponisten Sergei Prokofieff gibt es hellstes Licht und finstersten Schatten. Sieben Sinfonien hat dieser Meister geschrieben, doch nur zwei davon haben es zu öffentlicher Kenntnisnahme gebracht. Während die 5.

Sinfonie B-Dur als großes virtuoses Paradestück gilt, hat sich die 1. Sinfonie D-Dur als späte Nachwehe der Wiener Klassik etabliert. Nicht grundlos trägt sie den Beinamen "Symphonie classique", und dieses französische Etikett weist darauf hin, wie sehr französischer Geist in Russland über lange Zeit dominierte, bis in die Sprachgebung. Aber es pfeift auch französischer Esprit aus allen Ritzen und Fugen dieses köstlichen Werks.

Jetzt gibt es eine großartige neue Aufnahme des Werks, die dem Witz und dem schnurrigen Neoklassizismus dieser Musik nachspürt und nicht wie in einem Geschwindmarsch an den Köstlichkeiten der Partitur vorbeibraust. Verantwortet wird sie von Tugan Sokhiev, dem großartigen jungen russischen Dirigenten, und dem Deutschen Symphonieorchester Berlin. Zwischen den Partnern herrschte, wie die Aufnahme zeigt, inniges Einvernehmen. In der Berliner Lesart vibriert die Partitur vor Geistreichtum.

Komplettiert wird die CD, die bei der Sony erschienen ist, durch die späte cis-Moll-Sinfonie (die sozusagen Prokofieffs später Reflex seines eigenen Neoklassizismus ist) und die satirische "Leutnant Kijé"-Suite. Wolfram Goertz

(RP)
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