Warschau Polens "großer Primas" Glemp ist tot

Warschau · Der Kirchenmann befürwortete den Anschluss seines Landes an den Westen.

Den Ritterschlag erhielt Józef Kardinal Glemp posthum – von einer anderen polnischen Legende der Neuzeit: Lech Walesa, Antreiber, Kopf und Stimme der polnischen Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung "Solidarnosc", würdigte den im Alter von 83 Jahren in einer Warschauer Klinik an den Folgen eines bösartigen Lungentumors verstorbenen Kirchenmann Glemp als "großen Primas".

Dennoch stand Glemp, der von 1981 bis 2009 an der Spitze der einflussreichen und im Volk stark verankerten katholischen Kirche wirkte, zeitlebens im Schatten bedeutenderer Kirchenführer aus Polen: seines Mentors Stefan Wyszynski, der in Polen als Jahrtausend-Primas verehrt wird, und des seliggesprochenen Papstes Johannes Paul II., auf dessen baldige Heiligsprechung seine Landsleute sehnlichst warten.

Johannes Paul II. kam 1981 einem der letzten Wünsche Wyszynskis nach, seinen langjährigen engen Mitarbeiter zum "ersten Bischof" (Primas) des Landes zu ernennen.

Umso mehr hat es Glemps polnische Landsleute verwirrt, dass der Primas seine Lateinamerika-Reise nicht umgehend abbrach, nachdem der polnische Jahrhundert-Papst am Abend des 2. April 2005 verstorben war.

Auch die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen befremdete es, als der Erzbischof von Gnesen und Warschau 1984 erstens bestritt, es gebe eine deutsche Minderheit in seiner Heimat, und sich zweitens gegen Gottesdienste in deutscher Sprache aussprach.

Ob Glemp antideutsche Gefühle in sich verbarg, wusste man nicht; man hätte es verstehen können. Denn der Sohn einer tiefgläubigen und armen Bauernfamilie wurde als Kind von den deutschen Besatzern seiner Heimat zum Arbeiten nach Deutschland zwangsverschickt. Er durfte im Nazi-Reich weder die Heilige Messe noch eine Schule besuchen. Der Entschluss, Priester zu werden, reifte wie bei Karol Wojtyla (Johannes Paul II.) während der Kriegsjahre. Glemp war beeindruckt von polnischen Geistlichen, die gegen den Willen der Unterdrücker und Besatzer als Seelsorger wirkten. Nach Schulabschluss, Studium der Theologie und Philosophie – unter anderem in Rom – folgte die Promotion in Kirchenrecht.

Als Primas von Polen erlebte Glemp die historische Spannbreite zwischen Kommunismus, Solidarnosc-Freiheitskampf, Kriegsrecht, Ankunft Polens in der Welt der Freien, Aufnahme in die EU. Der konservative Kirchenmann befürwortete den Anschluss seines Landes an den Westen, blieb aber in steter Sorge vor den "gefährlichen Früchten des Paradieses namens Westen".

Es gab Kritiker, die ihm vorhielten, er sei anfangs zu bang gegenüber den kommunistischen Herrschern in Warschau gewesen, nachdem General Jaruzelsky 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte und Walesas "Solidarnosc" zerschlagen wollte. Zur Wahrheit gehört, dass Glemp bald schon in Hirtenworten zum Widerstand gegen das Regime aufrief. Walesa, der spätere Staatspräsident, sprach von Glemps kluger Rolle in schwierigen Zeiten.

Persönlich zeichnete den nun Verstorbenen große Bescheidenheit aus. Józef Glemps Kardinal-Titelkirche in Rom, Santa Maria in Trastevere, gehört zu den schönsten und stimmungsvollsten in der Ewigen Stadt. In dem sündteuren Ristorante Sabatini gleich gegenüber dem Gotteshaus ward Glemp nie gesehen.

(RP)
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