Papst bittet Lehmann zu bleiben

In einem Brief hat Benedikt XVI. jetzt das Rücktrittsgesuch von Kardinal Lehmann abgelehnt, das jeder Geistliche vor seinem 75. Geburtstag einreichen muss. Das heißt: Der Mainzer Bischof wird trotz gesundheitlicher Probleme auch künftig in der katholischen Kirche wirken.

Mainz Diese Absage des Papstes ist ausnahmsweise als Zusage zu verstehen. So ist das Rücktrittsgesuch von Karl Kardinal Lehmann – das der Mainzer Bischof vor seinem 75. Geburtstag am 16. Mai fristgerecht nach Rom schickte – jetzt abgelehnt worden. Etwas freundlicher formuliert: Papst Benedikt XVI. bittet Lehmann, auch künftig im Amt zu bleiben und zu wirken.

Das sind diese katholischen Spielregeln, die lange eingeübt sind und die für Laien oft ein wenig kapriziös erscheinen. Jeder Geistliche hat mit 75 ein solches, kirchenrechtlich vorgeschriebenes Gesuch einzureichen. Das wird dann angenommen oder abgelehnt – natürlich auch dies nach allen Regeln kurialer Wortkunst. Im Brief des Papstes, der über den Apostolischen Nuntius vor dem Osterfest nach Mainz gelangte, ist dann die lateinische Rede von einem Verbleib "donec aliter provideatur", das heißt übersetzt: bis auf andere Weise Vorsorge getroffen wird. Den zeitlichen Spielraum für eine Neubesetzung kann Rom demnach großzügig auslegen und flexibel handhaben.

Von einer Entscheidungsfreiheit des geistlichen Ruhestands-Kandidaten kann ohnehin keine Rede sein. Denn auch die so genannte Bitte des Heiligen Vaters ist keineswegs als Bitte zu verstehen. Im Grunde handelt es sich um eine Dienstanweisung für die endgültige Entfristung seelsorgerischen Wirkens. Zuletzt war mit dieser Bitte der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, 2008 bedacht worden.

Das Ansinnen des Papstes war vorhersehbar und ist gleichermaßen überraschend. Zum einen sind Personalfragen für Benedikt eine der lästigsten Aufgaben als Pontifex. Er schätzt es über alle Maßen, Würdenträger, die er kennt und zu denen er Vertrauen gefasst hat, so lange wie möglich im Amt zu belassen. Dazu zählt Lehmann, der 21 Jahre der Deutschen Bischofskonferenz vorstand und wie kein zweiter Bischof die katholische Kirche in Deutschland prägte – als einfühlsamer Moderator, leidenschaftlicher Ökumeniker und wirkmächtiger Theologe.

Aber Lehmann, obwohl er in Rom studierte und an der päpstlichen Universität Gregoriana gleich zweimal promoviert wurde, ist kein Römer geworden. Die Kurie war nie seine Heimat; dementsprechend hat es ihm dort bisweilen an Fürsprechern gemangelt. Das bekam er besonders bitter 1999 zu spüren, als sich zwar die Mehrheit der deutschen Bischöfe auf seine Seite schlug und für einen Verbleib in der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung stimmte. Rom aber – unter beträchtlicher Mitwirkung des heutigen Papstes – lehnte den deutschen Weg ab und untersagte ein Mitwirken der katholischen Kirche an einem System, das eben auch die Abtreibung nicht ausschloss.

Und natürlich war auch das ein Zeichen: seine doch späte Ernennung zum Kardinal vor zehn Jahren. Man hat den nicht unkritischen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz warten lassen. "Ich konnte bislang auch ohne Titel meine Arbeit tun", hat er fast trotzig auf Nachfragen zu diesem Thema geantwortet. Als er aber dann, an einem sonnigen Februartag zur Kreierung vor Johannes Paul II. trat, begrüßte ihn das römische Kirchenvolk auf dem Petersplatz mit Bekundungen großer Anerkennung: "Papa Carlo" riefen ihm die Römer damals fröhlich und voller Respekt zu.

Lehmann und Ratzinger haben manchen theologischen und kirchenpolitischen Disput miteinander ausgefochten. Es wäre also mit der Annahme des obligatorischen Rücktrittsgesuchses für Papst Benedikt XVI. leicht und unaufgeregt gewesen, an die Spitze des Bistums von Mainz und damit als 88. Nachfolger des heiligen Bonifatius einen Rom-gefälligeren Hirten ins Amt zu setzen.

Dass dies nicht geschehen ist, zeigt, dass Benedikt sehr wohl weiß, welche Bedeutung Lehmann für die deutschen Katholiken hat und wie wertvoll er gerade in Zeiten von Kirchen- und Glaubenskrise noch sein kann. Auf einen wie Lehmann – mitunter "Rebellen-Bischof" genannt – scheint Rom nicht ohne Not verzichten zu wollen.

Lehmann, der Denker im Kardinalspurpur, der sein Mainzer Bischofshaus mit rund 100 000 Büchern in eine stattliche Bibliothek verwandelt hat, gehört nach wie vor zu den theologischen Wegweisern in Deutschland.

Sein Kopf ist bereit für künftig wichtige Aufgaben; sein Körper indes gibt andere Signale. Sein Knie bereitet ihm mittlerweile derart große Schmerzen, dass selbst kürzeste Wege zur Tortur werden. 2007 erlitt er während eines Gottesdienstes einen Schlaganfall; ein Jahr später musste er wegen eines drohenden Magendurchbruchs notoperiert werden.

Das ist der Tribut für viel zu viele Jahre unter Höchstbelastung. Geschont hat er sich nie. Erst die Warnrufe der Ärzte haben ihn einen kleineren Gang einlegen lassen. Eine zweite Ermahnung hat er sich selbst verordnet – mit seinem bischöflichen Wahlspruch: "State in fide", steht fest im Glauben.

(RP)
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