Ötzi vertrug keinen Milchzucker

Der unbekannte Wanderer aus der Jungsteinzeit, dessen Leiche vor 20 Jahren gefunden wurde, war ein kranker Mann. Er hatte wohl Herz-Kreislaufprobleme und litt nach einem Zeckenbiss. Die Ergebnisse einer Analyse seines Erbguts.

Bozen Der Gletschermann Ötzi hat weitere Geheimnisse seines Lebens preisgegeben. Innerhalb von 18 Monaten haben Wissenschaftler sein Erbgut vollständig entschlüsselt. Das Ergebnis: Mit Ötzis Gesundheit war es nicht weit her. Der Mann konnte keinen Milchzucker vertragen (Laktose-Intoleranz). Er hatte wohl Herz-Kreislauf-Probleme und litt vermutlich auch an Borreliose nach einem Zeckenbiss.

Diese Diagnosen erstellten die Genforscher der Universität Tübingen 5000 Jahre nach dem Tod des Mannes unbekannter Herkunft. Sie verwendeten ein Knochenstück aus dem linken Beckenknochen – gerade mal ein Zentimeter lang und einen Millimeter dick. "Ein Glücksfall", beschreibt der Humangenetiker Carsten Pusch von der Universität Tübingen die Qualität der Knochenprobe, aus der die DNA gewonnen wurde. Dass aus diesem kleinen Stück der genetische Code des Jungsteinzeitmenschen komplett entschlüsselt werden konnte, damit hatten die Forscher nicht gerechnet.

Das Außergewöhnliche an der späten Diagnose: Ötzi litt vermutlich bereits an Krankheiten, die wir heute eher als Zivilisationskrankheiten betrachten. Seine Veranlagung zu Herz-Kreislauf-Krankheiten war nicht erwartet worden. Immerhin war Ötzi weder übergewichtig, noch bewegte er sich zu wenig oder ernährte sich schlecht. Trotzdem fanden die Forscher in seinen Genen bereits Strukturen, die wir heute mit diesem Krankheitsbild in Verbindung bringen. Aus anderen Untersuchungen an der 5000 Jahre alten Mumie hatten Forscher schon früher erkannt, dass der Gletschermann tatsächlich an Arterienverkalkung litt. Jetzt weiß man warum: Er wurde Opfer seiner genetischen Veranlagung.

Das zweite Problem in Ötzis Genen: Er konnte keinen Milchzucker verdauen. Bereits vor 5000 Jahren gab es die Veränderung des Genoms, die dieses Problem erzeugt, das Laktose-Intoleranz heißt.

Eine erklärende These der Wissenschaftler: Die Entwicklung hin zur Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter ging einher mit der Domestizierung von Tieren. Als die Menschen sesshafter wurden und mehr Haustiere hielten, lernte ihr Körper allmählich, deren Milch besser zu verdauen.

Interessant auch die Entdeckung der Borreliose. "Dies ist der älteste Beleg für Borreliose und dafür, dass diese schon vor 5000 Jahren von Zecken übertragen wurde", erläutert Carsten Pusch.

Solche Erkenntnisse können übrigens auch für lebende Menschen durch die Entschlüsselung des Genoms gewonnen werden. Der Fall Ötzi ist ein Beispiel, wozu gentechnische Analysen heute in der Lage sind.

Zusätzlich gewannen die Forscher auch die Informationen, die recht einfach und direkt aus dem Genom abgeleitet werden können. Ötzi hatte braune Haare und braune Augen. Sein Genom trägt eine Charakteristik, die heute in Europa recht selten ist. Seine Vorfahren sind vermutlich aus dem Nahen Osten eingewandert. In Europa hat sich dieses typische Merkmal vermischt mit anderen Genpools – nur in abgelegenen Gegenden, etwa auf den Mittelmeerinseln Sardinien und Korsika, wird noch heute die gleiche Charakteristik gefunden.

Der Eismann hat sich in seinen letzten Lebensstunden wohl recht sicher gefühlt. Jüngere Forschungen haben ergeben, dass Ötzi 30 bis 120 Minuten vor seinem Tod noch ein üppiges Mahl hatte: Es gab Steinbockfleisch, Getreidekörner, Äpfel und Blätter. Weil Botaniker in seinem Mageninhalt viele Pollen gefunden haben, wird der Eismann seine letzte Mahlzeit wohl im Frühjahr verzehrt haben.

Was dann passierte? Die genaue Todesursache ist noch immer unklar. Sicher ist, dass die schwere Verletzung durch die Spitze eines Speers für Ötzi lebensgefährlich war. Zudem hatte er ein Schädel-Hirn-Trauma: entweder durch einen Sturz oder durch einen Schlag auf den Kopf.

Ötzi-Forscher Albert Zink vom Südtiroler Archäologiemuseum hat folgende Theorie: Ötzi sei bei einer ausgiebigen Rast von einem Angreifer überrascht und mit einem Speer getötet worden. Danach wurde er nicht etwa beerdigt, wie früher angenommen wurde, sonst schlicht liegengelassen. Das Hab und Gut blieb bei der Leiche – auch das ist eine wertvolle Informationsquelle. Derart abrupt aus dem Leben gerissen, liefert die Mumie uns heute viele Antworten.

(RP)
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