Berlin Obama ist der Star des Kirchentags

Berlin · Die protestantische Basis will ab heute in Berlin zeigen, wie Kirche in die Gesellschaft wirkt. Sie setzt Zeichen gegen Fremdenhass und das Sterben im Mittelmeer. Luther spielt nur am Rande eine Rolle.

Als die Kirchentagspräsidentin im vergangenen Jahr Losung und Themenbereiche des Kirchentags vorstellte, fiel vor allem eins ins Auge: Der Name "Luther" tauchte so gut wie nicht auf. Und das ausgerechnet im Jahr des Reformationsjubiläums.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Leitungsorgan der deutschen Protestanten, hingegen will das Großereignis als einen der Höhepunkte des Reformationsjubiläums inszenieren. Heute beginnt der 36. evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg unter der Losung "Du siehst mich". 100.000 Besucher werden in der Hauptstadt erwartet. Zum Festgottesdienst kommen mehrere tausend Menschen nach Wittenberg. Dort wird der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm den Abschlussgottesdienst feiern - von der Festwiese wird man den Turm der Schlosskirche sehen, an deren Tür vor 500 Jahren die 95 Thesen genagelt haben soll.

Ansonsten hält sich der Kirchentag aber mit pompösen Gesten zum Luther-Gedenken zurück. Und das bewusst: An der Spitze des Kirchentags steht mit Christina Aus der Au eine reformierte Theologin, die als Gegenpart zum lutherischen EKD-Ratsvorsitzenden fungiert.

Beim Kirchentag spielt weniger die EKD als verfasste Kirche, sondern vielmehr die Kirchenbasis die zentrale Rolle. Die Protestanten wollen zeigen, wie sich Kirche innerhalb der Gesellschaft positioniert und wie sie in die Gesellschaft hineinwirkt. Die alte Leier vom Mitgliederschwund und Gemeindesterben spielt beim Kirchentag ausnahmsweise mal eine untergeordnete Rolle. In Berlin soll sich zeigen, wie lebendig Kirche ist und auch in Zukunft sein möchte.

Politische Haltung zu beziehen, war immer schon ein Anliegen des Kirchentages. Das zeigt sich auch in diesem Jahr. 2017 treffen bei der Großveranstaltung unterschiedliche Gemengelagen aufeinander: Zum einen geht es um die innerkirchliche Selbstbeschäftigung und Selbstvergewisserung vor der Frage, wo die Kirche nach 500 Jahren Reformationsgeschichte steht. Zum anderen will man die christliche Stimme in politisch bewegten Zeiten erheben.

Das deckt sich auch mit der Agenda des EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm, der in der Vergangenheit immer wieder betont hat: "Wer fromm ist, muss auch politisch sein" - zuletzt konnte man diesen Satz in einem Gastbeitrag des Ratsvorsitzenden in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lesen.

Aber wie politisch ist der Kirchentag in diesem Jahr? Eine Veranstaltung zog schon im Voraus die ganze Aufmerksamkeit auf sich: nämlich die Podiumsdiskussion vor dem Brandenburger Tor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Barack Obama, 44. Präsident der Vereinigten Staaten. Das Thema lautet "Engagiert Demokratie gestalten" und ist damit so vage formuliert, dass man den protestantischen Bezug erstmal gar nicht herstellen kann. Auf dem Podium werden mit der Bundeskanzlerin und dem Staatsmann zwei bekennende Christen sitzen, die stets auf ihr christliches Wertefundament verweisen.

Zeitgleich findet in der Berliner Sophienkirche eine Diskussionsrunde mit der AfD-Funktionärin Anette Schultner und dem Berliner Landesbischof Markus Dröge statt. Schultner hat zuletzt den Landtagswahlkampf der AfD in Schleswig-Holstein geleitet. Sie ist außerdem Bundessprecherin der "Christen in der AfD". Als sich vor einem Jahr die Katholiken in Leipzig zum Katholikentag trafen, war die AfD zu den Podien nicht eingeladen. Das Kirchentagspräsidium hat sich von vorneherein anders entschieden. Man werde niemanden wegen seines Parteibuches ein- oder ausladen, hieß es. Einem Dialog dürfe man sich nicht verweigern.

Dagegen regt sich seit mehreren Monaten Protest an der Kirchenbasis - der vor allem von Mitgliedern der rheinischen Landeskirche getragen wird. Der Bonner Pfarrer Siegfried Eckert steht dabei an der Spitze. Jüngst hat er Kirchentagsbesucher dazu aufgerufen, die Veranstaltung in der Sophienkirche nicht zu besuchen. "Vor der Bundestagswahl im Herbst sollten wir der AfD keine Bühne bieten", sagt Eckert im Gespräch mit unserer Redaktion. "Ich befürchte, dass die Bilder eines evangelischen Bischofs mit einer AfD-Funktionärin in einer Kirche die Bilder von Obama und Merkel konterkarieren werden." Der Boykott sei der "Versuch einer Zeichenhandlung".

Eine andere Zeichenhandlung kritisiert die europäische Flüchtlingspolitik. Mehrere Landeskirchen wollen am Freitag vor dem Berliner Hauptbahnhof eine Schweigeminute für tote Flüchtlinge auf dem Mittelmeer abhalten. Federführend beteiligt ist die rheinische Landeskirche und deren Präses Manfred Rekowski, der auch Vorsitzender der EKD-Kammer für Migration und Integration ist. "Wir beklagen nicht die Opfer einer Naturkatastrophe, sondern die Opfer einer Politik, die auf Abschreckung und Abschottung setzt. Diese ist mit dem christlichen Verständnis von Nächstenliebe nicht vereinbar", sagte Rekowski.

Damit steht die Kirche 2017 ganz in der lutherischen Tradition, nach der das Evangelium auch immer eine politische Bedeutung hat. In einer zunehmend säkularen Welt muss sie den Finger immer wieder in die Wunde legen.

(heif)
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