Forscher warnen Nordpol bald ohne Eis

Stockholm (RP). Das Eis am nördlichsten Punkt der Erde schwindet. Noch in diesem Jahr könnte es völlig wegschmelzen. Das erleichtert die Rohstoff-Ausbeutung, entzieht der Tierwelt aber die Lebensgrundlage.

Was der Klimawandel mit der Tierwelt macht
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Foto: dpa/Stephanie Jenouvri

Es klingt unwirklich. Erstmals seit mindestens einhunderttausend Jahren könnte in diesem Sommer das Eis des Nordpols ganz verschwinden, warnen amerikanische und skandinavische Forscher. Die Chance eines völlig eisfreien Nordpols liege bei 50 Prozent, so das US-Forschungsinstitut "National Snow and Ice Data Center" (NSIDC).

"Wir gehen in diesem Jahr von einem neuen Rekord aus. Zurzeit ist die Eisdecke der Arktis beides: dünner und jünger, als wir es jemals zuvor registriert haben", sagt NSIDC-Forscher Sheldon Drobot. Bald könne man tatsächlich ungehindert mit einem Boot durch völlig offenes Wasser zum Nordpol fahren, so Drobots Kollege Mark Serrez. "Aus einer rein wissenschaftlichen Perspektive ist der Nordpol nur ein weiterer Punkt auf dem Globus. Aber er hat einen sehr hohen symbolischen Stellenwert in der Klimawandeldiskussion." Ein eisfreier Nordpol wurde zwar in einigen Klimamodellen vorausgesagt, dies allerdings frühestens in 20 Jahren. Der Weltklimarat (IPCC) rechnete noch vor nicht all zu langer Zeit mit einer solchen Entwicklung erst zum Ende des Jahrhunderts.

Seit den 70er Jahren hat das Eis sich durchschnittlich um acht Prozent pro Jahrzehnt reduziert. Nun verlangsamt sich die Reduktion. Die ist allerdings kein gutes Zeichen: Es bedeutet, dass es in diesem Jahr mehr als jemals zuvor aus neuem Eis besteht. US-Forscher glauben, dass 70 Prozent des gegenwärtigen Meereseises lediglich ein Jahr alt ist. Diese Sorte schmilzt aber deutlich schneller.

Alleine im April ist eine Fläche von 6000 Quadratkilometern pro Tag geschmolzen. Das entspricht mehr als dem Doppelten der Fläche Luxemburgs. Eine weitere Erklärung dafür, dass das Eis so schnell verschwindet ist der "Albedoeffekt". Das weiße, von Schnee bedeckte Eis reflektiert die Wärmestrahlen der Sonne zurück ins All. Das zunehmend eisfreie, dunkle Meereswasser absorbiert dagegen die Wärme. Je weniger Eis die Sonnenstrahlen reflektiert, desto schneller wärmt sich die Polarregion auf.

Klimaforscher des meteorologischen Institutes der Universität Stockholm haben in einer neuen Studie einen weiteren Schmelzbeschleuniger entdeckt. Demnach soll die Aufwärmung laut Satellitenmessungen oben in der Atmosphäre über der Arktis noch viel größer sein als die Aufwärmung der Arktisoberfläche selbst. "Die wärmere Atmosphäre weiter oben über der Arktis erhöht die Wärmestrahlung auf das schmelzende Eis", sagt Grand Graversen vom meteorologischen Institut in Stockholm. Graversen sieht ähnlich wie die meisten seiner Kollegen die schmelzende Eisdecke als "den stärksten Beweis" dafür, dass die Menschen mit dem Ausstoß von Treibhausgasen das Klima der Erde erwärmen.

Die Arktisanrainer sehen ihre Chance, an die von dicken Eisschichten bedeckten Bodenschätze zu gelangen. Der Wettlauf hat längst begonnen: Russland hat symbolisch mit einer Flagge seinen Anspruch auf den Nordpol deutlich gemacht. Dänemark und Kanada streiten um die kleine Insel Hand im Nordwesten Grönlands. Und alle direkten Anrainer ­ zu ihnen gehören auch die USA und Norwegen­ wollen den Rest der Welt von der Ausbeutung der Region ausschließen. Doch dadurch ist die dortige Tierwelt bedroht. Die auf der Eisdecke lebenden Robben sind völlig abhängig vom Eis.

Auch für Eisbären ist das Eis Voraussetzung für die Fortpflanzung. Zwar gebären sie ihren Nachwuchs an Land, aber sie jagen ihr Futter an den Kanten des Eises. Kleine Eisbären können größere Distanzen vom Land bis zum Jagdrevier noch nicht schwimmen. Wenn das Eis sich weiter entfernt, droht eine Hungersnot. Noch sei es nicht zu spät, sagt Neil Hamilton von der Naturschutzorganisation WWF: "Die Arktis kann sich wieder erholen. Wir haben noch Zeit, etwas zu tun, aber es muss jetzt geschehen."

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