Neues Leben in neuer Haut

Mediziner der Bochumer Uniklinik haben erstmals einen Jungen heilen können, der unter der lebensbedrohlichen "Schmetterlingskrankheit" litt. Dafür wurden 80 Prozent seiner Körperoberfläche mit einer gesunden Haut überzogen.

Der Begriff Schmetterlingskrankheit klingt anmutig und graziös, aber den Betroffenen macht sie das Leben zur Hölle. Die Patienten besitzen eine extrem empfindliche Haut, die so leicht reißt wie der Flügel eines Schmetterlings. Sie tragen zeitlebens Wunden und Blasen, die sich entzünden können. Einzelne Hautschichten lösen sich voneinander und bieten zusätzliche Fläche für Infektionen. Eine Heilung für diese Menschen gibt es nicht. Vorsicht prägt ihr Leben, das häufig nur kurz ist, weil sie an einer der zahlreichen Infektionen sterben.

Doch Mediziner der Uniklinik Bochum haben gemeinsam mit Kollegen aus Modena (Italien) erstmals einen solchen Patienten geheilt. Sie haben beim siebenjährigen Hassan 80 Prozent der Körperoberfläche mit einer gesunden Haut überzogen, die zuvor im Labor gezüchtet worden war. Die Transplantation fand vor zwei Jahren statt - heute ist der Knabe nicht nur schmerzfrei, er spielt sogar Fußball wie andere Kinder seines Alters.

Die Therapie ist noch ein Einzelfall, aber gleichzeitig ein Beispiel, wie moderne Wissenschaft und hoch qualifizierte Ärzte neue Wege gehen. Die Wissenschaftler haben für die Behandlung die Hautzellen des Jungen gentechnisch verändert und mit den Methoden der Stammzellforschung fast einen Quadratmeter gesunde Haut gezüchtet. Tobias Hirsch, Leitender Oberarzt der Abteilung für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, übertrug mit seinem Team das Ersatzgewebe auf den Jungen.

Die Uniklinik Bergmannsheil hat sich auf Brandverletzungen spezialisiert und kennt daher diese Aufgabe. Doch nach einem Feuer verbleibt dem Brandopfer meist noch gesunde Haut, die dann vermehrt und auf die Brandstellen transplantiert werden kann. Der Junge hatte dagegen bereits dreiviertel seiner Haut verloren, der Rest war ebenfalls erkrankt. Bereits die Pflege des Patienten bedarf besonderer Fähigkeiten. Das Kind lag acht Monate auf der Intensivstation.

Die Schmetterlingskrankheit (Epidermolysis bullosa) entsteht durch einen Defekt im Erbgut. Die Ärzte kennen verschiedene Formen der Erkrankung, je nachdem, welches Gen beteiligt ist. Das Resultat des Gen-Defekts ist immer ähnlich. Es fehlt eines der Proteine, die für den Zusammenhalt der einzelnen Hautschichten nötig sind; bei dem Jungen war es Laminin aus dem Gen LAMB3. Weil dieser Fehler in allen Zellen vorhanden ist, kann sich die Haut auch nicht in einer gesunden Variante erneuern. Solche seltenen Abweichungen in der menschlichen DNA lassen sich gut untersuchen. Die Forscher in Modena haben ein Verfahren entwickelt, wie sie eine gesunde Variante des Gens in die Hautzelle einschleusen können, damit die Laminin-Produktion wieder funktioniert. Das Verfahren gehört zur Gentherapie bei der direkt das Erbgut menschlicher Zellen verändert wird. Mehrere dieser Techniken werden derzeit in kleinen klinischen Studien erprobt. Hauterkrankungen eignen sich dafür besonders gut, weil die Genmanipulation außerhalb des Körpers erfolgen kann und die gesunden Zellen dem Patienten wieder zurückgegeben werden.

Zudem lässt sich Haut im Labor gut züchten. In diesem Gewebe befinden sich viele Stammzellen, die ständig neue Hautzellen produzieren. Wenn das Erbgut in den Stammzellen korrigiert wurde, übernehmen alle neu gebildeten Hautzellen darum automatisch die Veränderung.

Die Mediziner feiern diesen Erfolg nicht nur wegen des Schicksals des Jungen. "Sehr wichtig ist auch der Nachweis der Stammzellen als dauerhafte Quelle für die Zellerneuerung in der Oberhaut", sagt Leena Bruckner-Tuderman, Ärztliche Direktorin an der Uni-Klinik Freiburg. "Die Forscher beschreiben sehr gut, wie diese Stammzellen identifiziert und angereichert werden können, sowie die notwendigen Qualitätskontrollen."

Gegen das Prinzip der Gentherapie bestehen dennoch Einwände. Die italienische Gruppe hat für die Reparatur der DNA mit sogenannten retroviralen Vektoren gearbeitet, um das korrekte Gen in die Zelle einzuschleusen. In anderen Fällen haben auf diese Art behandelte Patienten später Krebs entwickelt, vermutlich weil das Gen an einer falschen Stelle eingebaut wurde.

Bei Hautzellen scheint diese Gefahr beherrschbar, weil die Patienten ohnehin regelmäßig untersucht werden und ein entsprechender Tumor früh erkannt werden würde. Aber so kommt es, dass selbst diese moderne Therapie schon wieder angepasst wird. Zukünftige Gen-Manipulationen werden mit einer empfindlicheren Methode vorgenommen, die weniger unerwünschte Nebeneffekte bei der Reparatur des Erbguts zeigt. Weder der Junge noch seine Eltern haben sich öffentlich zu dem erhöhten Krebsrisiko geäußert.

(rai)
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