Trojanische Pferde Viren als Hoffnungsträger in der Krebs-Therapie

Adenoviren wie sie etwa in den Vektorimpfstoffen gegen Covid-19 vorkommen, können auch in der Krebstherapie nützlich sein. Wissenschaftler haben nun eine neue Technik entwickelt, um gezielt Brustkrebzellen zu bekämpfen. Ein Ansatz, der auch in der Corona-Therapie helfen könnte.

 Neuer Anstaz in der Krebs-Therapie: Künftig können auch Viren zum Einsatz kommen (Symbolbild).

Neuer Anstaz in der Krebs-Therapie: Künftig können auch Viren zum Einsatz kommen (Symbolbild).

Foto: Magforce

Davon träumt die Wissenschaft seit Jahren: Von einem Instrument, das gezielt Krebszellen angreift, dabei gesunde Organe verschont und dazu nachhaltig wirkt. Viren könnten der Schlüssel sein. Das Prozedere geht so: Gentechnisch veränderte Viren spüren Krebszellen auf, dringen in sie ein und töten sie dann entweder direkt ab oder bringen sie dazu, sich selbst zu töten. Stirbt die Zelle, platzt sie und setzt neue Viren frei, die ihrerseits neue Krebszellen attackieren. Die perfekte Kettenreaktion, die sich theoretisch bereits nach einer Verabreichung in Gang setzt. Virale Onkolyse nennen Experten dies.

Kein Wunder, dass in diesem Forschungsbereich seit Jahren Pioniergeist herscht. Das Spektrum an molekularbiologischen Werkzeugen wird stetig größer. Immer gezielter und feiner können Experten die Erbsubstanz von Viren modifizieren, sie mit den gewünschten Eigenschaften versehen und unerwünschte Nebenwirkungen herausschneiden. So entstehen künstliche Virenvehikel, die eine tödliche Botschaft in ihre Zielzellen transportieren. Kleinste Biowaffen mit dem Zeug zur Massenvernichtung. Ein zugelassenes Mittel mit diesem Prinzip gibt es bereits: Das Präparat Imlygic ist in der EU erlaubt für die Behandlung des schwarzen Hautkrebses (Malignes Melanom). Hier dient ein modifiziertes Herpes-simplex-Virus als Überbringer der schlechten Nachrichten. Normalerweise löst es Lippen- oder Genitalherpes aus. Diese Eigenschaft haben die Wissenschaftler ihm entfernt. Stattdessen tötet es nun gezielt die Krebszellen.

Als besonders aussichtsreiche Kandidaten für künftige virale Krebsmedikamente stufen Wissenschafler Adenoviren ein. Sie befallen normalerweise die oberen Luftwege und verursachen harmlose Erkältungen. Adenoviren sind seit Jahren beliebte Vektoren im Genlabor, weil sie gleich mehrere Vorteile für die virale Krebstherapie vereinen: Adenoviren haben eine vergleichweise niedrige Mutationsrate. Gleichzeitig ist ihr Reproduktionspotenzial enorm: Aus einem Erreger entstehen während der Vermehrung in der Wirtszelle einige Tausend Kopien. Wenn sich Adenoviren in einer Zelle vermehrt haben, führt dies unweigerlich zum Aufplatzen der Zellwand, der Zytolyse. Jede besetzte Zelle geht unweigerlich zugrunde. Ihre Erbsubstanz ist DNA. Sie gilt als ausgesprochen stabil und gilt deshalb auch langfristig als unbedenklich. Ebenfalls wichtig: Adenoviren bauen ihre DNA grundsätzlich nicht in das Erbmaterial der Wirtszelle ein – im Gegensatz etwa zu Retroviren wie HIV. Und außerdem kennen Forscher das Genom dieser Viren bis ins letzte Detail. Funktions-, Struktur- und Hüllproteine entschlüsselten sie in vergangenen Jahren quasi als Nebeneffekt aus vielen gentherapeutischen Experimenten, bei denen häufig Adenoviren als Vehikel dienten. Auch in den Vektor-Impfstoffen gegen Covid-19 (Astrazeneca, Johnson und Johnson und im russischen Impfstoff Sputnik V) sind Adenoviren die Boten der mRNA von Sars-CoV-2.

Nun haben Forscher an der Universität Zürich ein neues virales Transportvehikel gebaut: ein Adenovirus, das Gene für die Produktion von Antikörpern gegen Brustkrebs in Zellen einschleust und sie so zu kleinen Produktionsstätten ihrer eigenen Arznei macht. „Shread“ tauften sie die neue Technologie, das steht für „shielded retargeted Adenovirus“. Ein Adenovirus, dem die eigenen viralen Gene entfernt und stattdessen die Informationen für den Bau von Antikörpern gegen Bruskrebs eingebaut wurden. Trastuzumab (Herceptin) heißen diese Antikörper beziehungsweise das Präparat. Von den Arbeiten des Zürcher Teams um Andreas Plückthun und Sheena Smith berichtet das Magazin scinexx. Sie arbeiteten mit an Bruskrebs erkrankten Mäusen.  „Wir bringen den Tumor dazu, sich selbst zu eliminieren, indem wir seine Zellen veranlassen, therapeutische Wirkstoffe zu produzieren“, erklärt Smith. Bevor sie den Tieren das Shread-Vehikel injizierten, wurde es entsprechend modifiziert: Die Forscher verpassten den Adenoviren exakt die Oberflächenmarker, die spezifisch auf die Krebszellen der Mäuse passten. Der eigene virale Kern wurde ihnen entfernt. Um sicherzustellen, das die Viren dennoch nicht gesunde Zellen und vor allem Lebergewebe angreifen, nutzen die Forscher weitere genetische Anhängsel. Diese helfen außerdem dabei, dass das Immunsystem der Mäuse nicht frühzeitig die Viren abfängt, bevor sie in die Krebszellen eindringen können. Im Experiment dienten Mäuse als Kontrollgruppe, denen das Herceptin direkt in die Blutbahn gespritzt wurde. In beiden Gruppen prüften sie nach einigen Tagen, wo die viralen Vektoren nachweisbar waren. Außerdem maßen sie die Konzentration der Herceptin-Antikörper im Blut, im Tumor und in anderen Geweben.

Das Ergebnis: Rund 93 Prozent der trojanischen Pferde hatten wie gewünscht ausschließlich die Tumorzellen befallen. Schon nach wenigen Tagen setzte in den Krebszellen die Produktion der Antikörper ein. Die Tumoren schrumpften messbar, allerdings etwas geringer als bei den Mäusen mit der herkömmlichen Herceptinbehandlung. Das Entscheidende: Die mit Shread behandelten Tiere produzierten ausschließlich in ihren Krebszellen die Antikörper. Und dies in einer vielfach höheren Konzentration als bei einer systemischen Antikörpertherapie. „Wir erzielen eine 21-fach höhere Antikörperkonzentration im Tumor, gleichzeitig 89-fach niedrigere Werte im Blutplasma und eine 2,2-fach niedrigere in der Leber“, berichten Smith und ihr Team.

Die Wirkstoffe wie therapeutische Antikörper oder Botenstoffe blieben im Experiment also an exakt der Stelle im Körper, an der sie gebraucht werden, anstatt sich im Blutkreislauf zu verteilen, wo sie gesunde Organe und Gewebe schädigen können. Die Vorteile dieser therapeutischen Möglichkeit liegen somit auf der Hand. Üble Begleiterscheinungen wie etwa bei einer Chemotherpie gäbe es bei dieser Behandlungsart nicht. Mit Hilfe von Andenoviren als trojanische Pferde könnten Medikamente oder Botenstoffe  gezielter und effizient in kranke Zellen geschleust werden. Nach Einschätzung des Forscherteams wäre eine solche Methode auch gegen Covid-19 einsetzbar: „Indem die Shread-Behandlung den Patienten über ein inhalatives Aerosol verabreicht wird, könnte unser Ansatz eine gezielte Produktion von Covid-Antikörpern in Lungenzellen zulassen – dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden“, erläutert Smith. Bis dies soweit ist, sind allerdings weitere Experimente und Studien nötig.

Info: www.schinexx.de, www.pnas.org, www.media.uzh.ch (Universität Zürich)

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