Vietnam-Krieg: Mehr "Agent Orange" versprüht als angenommen Nach neuesten Berechnungen

London (rpo). Bekannt ist, dass die Amerikaner im Vietnam-Krieg "Agent Orange" und andere hochgiftige Pflanzenvernichtungsmittel zur Entlaubung der Urwälder eingesetzt haben. Neu ist, wie US-Forscher herausgefunden haben, dass die verwendeten Mengen weitaus größer waren als bislang angenommen.

Bei den Flugeinsätzen seien Millionen von Vietnamesen in ihren Dörfern direkt aus der Luft besprüht worden, berichten die Forscher im britischen Fachblatt "Nature" (Bd. 422, S. 681).

Über die Menge der eingesetzten Gifte streiten Wissenschaftler und Militärexperten seit Ende des Krieges. Jeanne Mager Stellmann von der Columbia Universität in New York (US-Bundesstaat New York) und ihre Mitarbeiter bewerteten nun vorhandene Militärdaten zu den Flugeinsätzen neu und entdeckten dabei eine Vielzahl von Archivdaten, die bislang nicht in die Bewertung einbezogen worden waren.

Ihrer Analyse zufolge wurden zwischen 1961 und 1971 gut sieben Millionen Liter mehr Pflanzenvernichtungsmittel versprüht als vorherige Untersuchungen angeben. Dabei wurden fast doppelt so viel dioxinhaltige "Entlaubungsmittel" eingesetzt wie Experten bislang vermutet hatten. Aussagen über die Menge an Dioxin, die dabei in die Umwelt gelangte, seien schwierig, da die Dioxin-Konzentrationen nicht nur zwischen den einzelnen Chemikalien-Lieferungen, sondern scheinbar auch von einem Fass zum anderen schwankte, schreiben die Wissenschaftler. Bisherige Schätzungen zum durchschnittlichen Dioxin- Gehalt der Herbizide seien aber wahrscheinlich zu vorsichtig gewesen.

Tausende kleine Dörfer direkt besprüht

Eine Auswertung der Flugrouten ergab, dass mehrere Tausend kleine Dörfer direkt mit den Chemikalien besprüht wurden. So sind mindestens zwei Millionen, möglicherweise aber auch fast fünf Millionen Vietnamesen in direkten Kontakt mit den Giften gekommen. Die gesundheitlichen Folgen der Herbizid-Einsätze bei der vietnamesischen Bevölkerung und auch bei den amerikanischen Soldaten, ließen sich dank der verbesserten Datenlage nun genauer untersuchen, hoffen die Wissenschaftler.

Die Herbizide, die nach einem breiten Farbstreifen auf den Gift-Fässern etwa als "Agent Orange", "Agent Blue" oder "Agent Purple" benannt wurden, sind in den ersten zehn Jahren des Vietnam-Krieges (1961 bis 1975) großflächig über den Wäldern versprüht worden. Ziel der "Ranch Hand" (Bauernhilfe) genannten Operation war die Entlaubung der Wälder, um einerseits Verstecke und Versorgungswege des Gegners aufzudecken und andererseits die Militärbasen und Flugplätze im dichten Dschungel erweitern zu können. Darüber hinaus wurden auch Ackerflächen bespritzt, um dem Feind die Nahrungsgrundlage zu entziehen.

Das in 65 Prozent der eingesetzten Herbizide enthaltene Dioxin gehört zu den gefährlichsten Giften überhaupt und wird mit einer Vielzahl von Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, darunter verschiedene Krebsleiden, Geburtsschäden und Beeinträchtigungen des Nerven- und Immunsystems. Unter den Spätfolgen des Krieges leidet die Bevölkerung in Vietnam noch heute, mehr als 25 Jahre nach Ende des Krieges. In so genannten "hot spots" sind die Böden extrem Dioxin belastet und stellen weiterhin eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar.

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