Barcelona Kultautor mit skurrilem Humor

Barcelona · Im Alter von 80 Jahren ist der spanische Schriftsteller Javier Tomeo gestorben.

Was heißt das schon – surrealistische Literatur. Es war kaum mehr als ein Etikett, das man Javier Tomeo anheftete, um ihn und seine Literatur erklärbar zu machen. Doch die wunderbare Bücherwelt Tomeos ließ sich auf solche Weise nicht entzaubern. In Barcelona ist jetzt einer der ungewöhnlichsten europäischen Schriftsteller im Alter von 80 Jahren gestorben.

Das Phänomen Javier Tomeo kann man möglicherweise viel einfacher beschreiben: Er hat nur immer seine sehr eigene Welt erzählt und phantasiert und ausgeschmückt. Darin schien alles in bester Ordnung zu sein; nur hatte sie mit unserer Welt nur noch herzlich wenig zu schaffen. Und das geschieht manchmal sehr einfach und lapidar und oft schon mit dem ersten Satz: "Vor vierzehn Tagen betrachtete sich Hilario in dem ovalen Spiegel im Flur seiner Wohnung, und er machte eine Entdeckung. Er hatte sich in Napoleon verwandelt." Von da aus nimmt in dem Roman "Napoleon VII." dann alles automatisch seinen ganz normalen skurrilen Gang. Man kann aber auch letzte Sätze zitieren wie den Schluss von "Unterhaltung in D-Dur": "Was danach passierte, war nicht mehr so wichtig", heißt es da, doch dass überhaupt noch was passierte, macht uns natürlich skeptisch. Das ist ja auch das Schöne an seiner Literatur – dass der schelmische Erzähler mit seinem rabenschwarzen Humor stets ein unsicherer Kantonist gewesen ist, einer, auf den sich der Leser besser nicht vorbehaltlos verlassen sollte.

Zu den beliebtesten seiner gut 30 Werke zählt "Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief"; ein Buch, das einzig davon handelt, dass ein Brief eben nicht zugestellt und nicht gelesen wird. Große, unterhaltsame und bedenkenswerte Literatur über eine Art Nicht-Literatur.

Dass dieser große, 1932 in Quicena im Nordosten Spaniens geborene Verrätseler nicht nur Jura, sondern gar Kriminologie studiert und sich somit eher dem Durchblick und der Aufklärung gewidmet hatte, entbehrt nicht einer angenehmen und typischen Tomeo-Komik. Dazu trägt auch seine nüchterne Sprache bei; minimalistisch hat man den Stil seiner schmalen Bücher beschrieben, der auch die Dramatisierung seiner Prosastoffe erleichterte. Unter anderem ist der Marquis-Brief-Roman auf vielen deutschen Bühnen zur Aufführung gekommen.

Man hat den Sonderling gern mit anderen Sonderlingen verglichen. Oft wurde Thomas Bernhard (1931 -1989) genannt, auch der Filmemacher Luis Buñuel (1900 -1983). Die Reihe ließe sich verlängern, mit Italo Calvino oder Giorgio Manganelli, auch Leo Perutz. Unvergesslich sind alle. Unvergleichlich aber auch. Stellen wir sie uns darum lieber als eine Klasse der schwer erziehbaren Autoren im Jenseits vor – mit Javier Tomeo nun als Klassensprecher.

(RP)
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