Künstliche Intelligenz Keine Angst vor digitalen Maschinen

Beim Thema Künstliche Intelligenz steht häufig die Faszination für die Fähigkeiten der Supercomputer im Mittelpunkt. Viele Forscher fordern längst eine breitere Debatte, damit die Gesellschaft auf die neue Technologie vorbereitet ist.

 Vernichtende Niederlage: Die Künstliche Intelligenz AlphaStar schlug 2010 im Computerspiel „StarCraft II“ die besten menschlichen Spieler.

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Foto: dpa/-

Es gibt eine Frage, die mag Stefan Wrobel nicht mehr hören. Wenn der Professor für Informatik gefragt wird, welche Anwendungsfelder es für künstliche Intelligenz (KI) geben werde, fällt es ihm schwer, sein Unverständnis zu unterdrücken. „Künstliche Intelligenz ist nichts, was irgendwann kommt, sie ist schon längst da“, sagt der Wissenschaftler der Universität Bonn.

Wrobel sieht die Einsatzmöglichkeiten der selbstlernenden Computer so weitreichend und vielseitig, dass er gern mit einem anderen Beispiel kontert: Niemand würde heute mehr fragen, wozu man elektrischen Strom verwenden könne. Elektrizität gehört längst zum Alltag, KI ist in schnellen Schritten auf dem Weg dahin. Die NRW-Akademie der Wissenschaften und Künste hat diese Technologie deshalb in den Mittelpunkt eines Thementages gerückt.

Akademie-Präsident Wolfgang Löwer erinnerte an das alte Dilemma im Umgang mit den Ergebnissen von Wissenschaften: Auch bei der Einführung von KI gehe es darum, den Nutzen der Ergebnisse zu sichern und den Schaden zu mindern, sagte der Jurist. Löwer stellte die provozierende Frage, ob Algorithmen und Hochleistungsrechner uns Menschen das Intelligenz-Monopol streitig machen könnten. Keiner der vier Referenten lieferte eine direkte Antwort darauf, KI-Forscher sind dieser Debatte längst überdrüssig. „Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Fähigkeiten des Menschen zu erweitern, und hilft uns, neue Erkenntnisse zu gewinnen“, sagt Stefan Wrobel. Computer können zwar komplizierte Aufgaben lösen und riesige Datenmengen bearbeiten. In dieser Beziehung mögen sie dem Menschen überlegen sein. Aber sie sind weit von Unfehlbarkeit entfernt.

Die Beispiele beim Thementag der Akademie zeigen, wie leicht KI sich täuschen lässt, wenn man es darauf anlegt. Wenn die Algorithmen nur schlechte Daten zum Training erhalten, sind ihre Ergebnisse nichts wert. Die vermeintlich intelligenten Maschinen haben nämlich ein Problem. Sie können häufig nicht erkennen, ob ihre Resultate richtig oder nützlich sind. Deshalb befeuert die abstrakte Debatte um sich selbst reproduzierende Roboter, die in einer fernen oder nahen Zukunft die Menschheit abschaffen, bestenfalls die Filmindustrie in Hollywood.

Die KI-Experten beschäftigen sich nicht gern mit dieser Phantasiewelt. Sie verlangen von uns, auf die Gegenwart zu schauen und den Einsatz von KI nicht mit Angst, sondern mit Kreativität zu begleiten. Die Bitcom, der Bundesverband der digitalen Wirtschaft, befragte im Vorfeld der Hannover-Messe die deutschen Industrieunternehmen. Demnach rechnet jedes zweite Unternehmen damit, dass das maschinelle Lernen und künstliche Intelligenz bestehende Geschäftsmodelle tiefgreifend verändern werden. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung McKinsey werden die selbstlernenden Systeme jährlich 1,2 Prozentpunkte zum Wachstum des globalen Bruttoinlandprodukts beitragen.

Das Problem der Entwicklung von KI liegt hierzulande nicht in der Forschung. Da können sich deutsche Wissenschaftler, auch viele aus NRW, und nationale Forschungsverbünde mit der internationalen Konkurrenz messen oder gehören zur Spitzengruppe, urteilt Wrobel. Doch kleine, erfolgreiche Startups der Branche ereilt in Deutschland oft das gleiche Schicksal: Sie werden von ausländischen Firmen aufgekauft. Hierzulande fehlt es an Wagniskapital, damit die innovativen KI-Unternehmen zu einer europaweit relevanten Größe wachsen können.

Doch meistens richtet sich der Blick auf KI auf den falschen Fokus: Wenn über lernende Computer gesprochen wird, liegt die Aufmerksamkeit schnell bei den herausragenden oder überraschenden Fähigkeiten der Algorithmen und der Superrechner. Immer neue Anwendungsbeispiele sorgen für Faszination. Wie viele andere KI-Forscher fordert auch Stefan Wrobel eine nötige stärkere Einbindung der Gesellschaft. NRW will mit der Kompetenzplattform KI.NRW nicht nur Wirtschaft und Mittelstand bei der Einführung der neuen Technologie beraten. Das Fraunhofer-Institut in St Augustin hat in der Bildungsinitiative „Roberta – Lernen mit Robotern“ neue Konzepte entwickelt, die an junge Menschen in Schulen und in der Ausbildung, aber auch als Weiterbildung für Beschäftigte digitale Kompetenz vermitteln soll. Viele Forscher denken laut über eine deutliche Ausweitung des Schulfachs Informatik nach, das schon in der Grundschule auf dem Lehrplan stehen sollte. „Wir müssen die Jugend in die digitale Zukunft führen“, sagt Wrobel.

Die Kritik an den Algorithmen bleibt trotz ihrer Bedeutung für die Zukunft nicht außen vor. Die Experten der Kompetenzplattform schlagen eine Zertifizierung für KI vor. Der geplante Algorithmen-TÜV soll mögliche Auswirkungen untersuchen. Respektiert die KI-Anwendung gesellschaftliche Werte und Gesetze und behandelt sie alle Betroffenen fair? Sind ihre Funktionsweise und Entscheidungen nachvollziehbar? Ist sie sicher gegen Angriffe, Unfälle und Fehler? Schützt die KI die Privatsphäre und sensible Informationen? Nach dem Willen der interdisziplinären Arbeitsgruppe soll das Einsatzgebiet der neuen Technologie nicht nur durch die Vorteile aus den Fähigkeiten der Maschine bestimmt werden.

Übrigens eine sehr menschliche Sichtweise.

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