Planetare Belastungsgrenzen sind überschritten Der Patientin Erde geht es nicht gut
Düsseldorf · Erderwärmung, schwindende Korallenriffe, brennende Wälder: Forscher haben neun Belastungsgrenzen geprüft, in sechs davon ist die Erde überlastet. Hoffnung macht der Kampf gegen das Ozonloch.
Kurz vor dem Start des globalen Klimastreiks am Freitag hat ein internationales Forscherteam die Erde zum Gesundheitscheck geschickt. Der Befund fällt deutlich aus: „Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, sagt Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Er und andere haben neun „planetare Belastungsgrenzen“ definiert und geprüft, welchen Spielraum es noch gibt. Demnach sind sechs der neun Belastungsgrenzen bereits überschritten. Für ihre Studie haben die Forscher zentrale Klimaprognosen-Modelle mit Daten gefüttert.
Klimawandel Überlastet ist die Erde – das verwundert nicht – im Bereich der globalen Erwärmung. Die Forscher machen das an der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre fest. Und die liegt um ein Fünftel höher als der Wert, den man bräuchte, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu halten. Das liegt an der ungebrochenen Inbetriebnahme neuer Kohlekraftwerke etwa in China, in Deutschland laufen die Blöcke länger. Die Erwärmung spiegelte sich schon in den jüngsten Rekorden wider: Die vergangenen acht Jahre waren weltweit die wärmsten Jahre.
Landnutzung/Entwaldung Kritisch ist auch die fortschreitende Entwaldung der Erde. Die Umwandlung von Wald in Land, die Abholzung des Amazonas-Regenwalds und immer mehr Waldbrände sind demnach die Ursachen für das rapide Verschwinden von Flächen. Erst im Sommer hatten gewaltige Brände in Kanada viel Wald vernichtet: Es brannte auf einer Fläche, die fast der Hälfte der Landesfläche Deutschlands entsprach. Die Forscher haben als Überlastungsgrenze markiert, wenn nur noch 75 Prozent der weltweiten Wälder intakt sind. Derzeit gilt das aber nur noch für 60 Prozent der Wälder, in Asien sieht es am schlimmsten aus. Dabei werden die Wälder gebraucht, um Kohlendioxid (CO2) per Fotosynthese in Sauerstoff zu verwandeln. Ein Verlust der Wälder heizt die Erderwärmung weiter an. Folglich wäre eine Wiederaufforstung der beste Klimaschutz: Würde man die gesamte globale Waldfläche wieder aufs Niveau des späten 20. Jahrhunderts bringen, könnte dies bis 2100 den CO2-Gehalt in der Atmosphäre deutlich senken, schreiben die Forscher. Das könnte die Erderwärmung verringern.
Versauerung der Ozeane Der Grenzwert, den die Forscher für die Versauerung der Ozeane gesetzt haben, ist fast erreicht. Der Grund: Das Kohlendioxid, das von Kraftwerken, Flugzeugen, Heizungsanlagen und Autos emittiert wird, wird zu einem Teil von den Meeren in Form von Kohlensäure aufgenommen. Je stärker die Emissionen sind, desto höher ist der Grad der Versauerung. Der ph-Wert des Wassers sinkt – und es greift die kalkhaltigen Korallen oder Schalen von Muscheln und Krebsen an. Schon jetzt schreitet die Zerstörung der Korallenriffe voran, die einzigartige Lebensräume für Pflanzen und Tiere sind. Auch das Plankton, das am Anfang vieler Nahrungsketten im Meer steht, mag kein saures Wasser. Am Ende schwindet so die Nahrungsbasis für Fische, Robben und Eisbären.
Süßwasservorkommen Im gelben Bereich sehen die Forscher die weltweiten Süßwasservorkommen. Hierbei schauen sie auf Fluss- und Grundwasser (blaues Wasser) und auf die Bodenfeuchtigkeit (grünes Wasser). Auch hier stellen sie einen Rückgang fest, was schlecht für die Artenvielfalt und die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser ist. Zu weiteren Bereichen mit überschrittenen Grenzen zählen zudem die Schadstoffbelastung und die Biosphäre/Artenvielfalt.
Ozonabbau Es gibt aber auch gute Nachrichten. So liegt die Ozon-Konzentration in der Stratosphäre da, wo sie sein soll. Wieder da, muss man sagen. In den 1990er-Jahren war es zu einer dramatischen Ausdünnung der Ozonschicht gekommen, die die Erde eigentlich vor gefährlichen UV-Strahlen schützen soll. Durch das spätere Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (wie etwa als Kühlmittel in Kühlschränken) konnte die Entwicklung umgedreht werden. Ozonlöcher, die heute regional auftreten, schließen sich oft auch wieder.
Das passt zu dem Fazit, das die Forscher ziehen: Sie wollen nicht Schwarzmaler sein, sondern einen Weckruf aussenden: „Wissenschaftliche Erkenntnisse über die Grenzen des Planeten schränken die Menschheit nicht ein, sondern regen sie zu Innovationen an“, schreiben sie in ihrer in der Zeitschrift „Science Advances“ veröffentlichten Studie. Autorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen sagt es so: „Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks. Ein Blutdruck von über 120 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko.“ Deshalb werde daran gearbeitet, den Blutdruck zu senken. Das fordern mit ihren umstrittenen Mitteln auch die Umweltaktivisten ein.