Klima-Proteste im Rheinischen Revier Von Oaktown nach Lützerath

Düsseldorf · Im Rheinischen Revier kämpfen Umweltaktivisten für das Klima. Ein winziges Dörfchen hat den Hambacher Forst als Symbol des Widerstands abgelöst. Ein Besuch in den Epizentren des Protests.

Lange war der Hambacher Forst der ort des Widerstands gegen die Kohle - noch immer kommen Besucher her, um sich die mittlerweile berühmten Walddörfchen anzugucken.

Lange war der Hambacher Forst der ort des Widerstands gegen die Kohle - noch immer kommen Besucher her, um sich die mittlerweile berühmten Walddörfchen anzugucken.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Die Sonne ist an diesem vorletzten Juniwochenende ungewöhnlich heiß. Radieschen, so der Spitzname des jungen Mannes, der auf einer verstaubten Ackerfläche in Lützerath steht, wischt sich einmal kräftig mit dem rechten Arm den Schweiß von der Stirn und krempelt sich die Ärmel seines Flanellhemdes hoch. Dann nimmt er Maß und steckt die Fläche ab, auf der er mit Mia, einer guten Freundin, ein Haus aus Stroh bauen will. Der Bauer von gegenüber, der letzte, der im Dorf geblieben ist, winkt den beiden zu.

Es ist ruhig und idyllisch, das Zwitschern der Vögel ist zu hören, die dann aber plötzlich verstummen. An ihre Stelle tritt ein monotoner mechanischer Dauerton, der ein wenig an das Piepen im Ohr erinnert. Ein monströser, mehr als 200 Meter langer und fast 100 Meter hoher Bagger hat wieder begonnen, zu arbeiten – er frisst sich immer näher an das Örtchen heran, für dessen Rettung Mia und Radieschen und so viele andere kämpfen. 150 Meter hat der Bagger nur noch vor sich.

 Der kleine Ort Lützerath an der Kante zum Tagebau. Noch sind einige Aktivisten vor Ort und auch ein Landwirt ist weiter ansässig. Die Aktivisten Mia (links) und Radiesschen (rechts) vermessen ein kleines Feld , um dort ein Strohhaus zu bauen.

Der kleine Ort Lützerath an der Kante zum Tagebau. Noch sind einige Aktivisten vor Ort und auch ein Landwirt ist weiter ansässig. Die Aktivisten Mia (links) und Radiesschen (rechts) vermessen ein kleines Feld , um dort ein Strohhaus zu bauen.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Lützerath, ein jahrhundertealtes Örtchen, das zu Erkelenz gehört, ist zum Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. Die Ortschaft, die mit ihren provisorischen Straßensperren, Checkpoints, verlassenen Häusern und vermummten Menschen an postapokalyptische Endzeitfilme erinnert, soll den Baggern preisgegeben werden. Erst vor Kurzem hat der letzte dort lebende Landwirt seinen Grund an die Tagebaubetreiberin RWE verkauft. Er hatte ohne Erfolg gegen die vorzeitige Inanspruchnahme seines Geländes für den nahen Bergbau geklagt. Umsonst ist sein Protest nicht gewesen. Hätte er sich aber nicht so hartnäckig gewehrt, Lützerath wäre heute wohl nicht der Brennpunkt der Klimaproteste im Tagebau Garzweiler. So aber halten Dutzende Umweltaktivisten, die zum Teil aus der ganzen Welt kommen, den winzigen Fleck Erde besetzt, der direkt an der Abbaukante des Tagebaus im Rheinischen Revier liegt. Sie hoffen, dass die Bagger doch noch rechtzeitig stoppen werden; ihre Hoffnung schöpfen sie auch aus dem Sondierungspapier von CDU und Grünen, in dem sich beide Parteien zum Kohleausstieg bis 2030 bekennen und eine „zeitnahe neue Leitentscheidung“ zum Rheinischen Revier in Aussicht stellen. Konkret zugesagt wird dort aber lediglich: „Alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen bleiben.“ Zu diesen fünf Dörfern zählt Lützerath allerdings nicht.

Etwa vier Kilometer entfernt von Lützerath, die Abbruchkante entlang, hängen kleine Liebesschlösser an einem schwingenden Metallgerüst. Eine Aussichtsplattform, der sogenannten Skywalk, der 14 Meter über der gewaltigen Grube ragt. Es sind zwar nicht annähernd so viele Schlösser wie an der Eisenbahnbrücke in Köln oder wie an den berühmten Übergängen der Seine in Paris. Aber die wenigen, die dort mit eingravierten Namen und Herzsymbolen hängen, zeigen, dass es Menschen gibt, die die kargen Landschaften, die die riesigen Abbruchbagger hinterlassen, für einen romantischen Platz halten. Sven und Sandra, die an diesem Tag da sind, finden das nicht unbedingt. Sie haben kein Liebesschloss dort hingehängt. Aber sie finden es dennoch schön hier und kommen öfters. „Der Ausblick ist phänomenal. Man kann über den ganzen Tagebau gucken“, sagt Sven. „Und irgendwann soll das alles geflutet werden und ein riesiger See sein“, schwärmt er.

Lange ist der Hambacher Forst, von dem nur noch zwischen drei bis fünf Prozent übrig geblieben ist, der Ort des Widerstands gegen die Kohle gewesen. Doch dort, wo noch vor vier Jahren einer der größten Polizeieinsätze der Landesgeschichte stattgefunden hat, ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Der Protest ist aber keinesfalls erloschen in dem noch etwa 500 Hektar großen Waldstück, gelegen zwischen Köln und Aachen, von dem es bis nach Lützerath gut 30 Kilometer sind. Am Rande des Forsts treffen wir einen Bewohner aus Oaktown, einer der bekannten Baumhaussiedlungen im „Hambi“. Er ist vermummt und möchte nur anonym mit uns sprechen. Der etwa 30-Jährige nimmt uns mit in den Wald und stellt uns seinen Mitstreitern vor. Es sind junge und ältere Menschen; sie sitzen auf Baumstämmen zusammen und unterhalten sich, essen gemeinsam. Es gibt ein kleines Lagerfeuer. Einige von ihnen sind nur Gäste, die auf der Durchreise sind und sich das berühmte Walddorf einmal anschauen wollen, von dem so viel zu lesen gewesen ist. „Der Wald gehört allen“, sagt einer der Bewohner. „Jeder kann hier hinkommen und die Natur genießen und einfach auf sich wirken lassen. Dafür haben wir uns eingesetzt – und tun es weiter.“

Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler II in der Nähe des Ortes Lützerath.

Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler II in der Nähe des Ortes Lützerath.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Radieschen ist seit Oktober in Lützerath; er kommt aus Süddeutschland. Mit seinem Protest will er seinen Betrag dazu leisten, das Klima zu verbessern. „Ich glaube, es macht gerade großen Sinn, Druck auf die Politik auszuüben, damit sie endlich in die Puschen kommt“, sagt er. Seine Hoffnung ist groß, dass das Örtchen erhalten bleiben wird; dazu müsste sich aber die öffentliche Meinung noch etwas mehr ändern, meint er. Sein Strohhaus, das aus Ballen gebaut werden soll, will er in diesem Sommer fertigstellen. „Dass wir es bauen, zeigt auch, wie überzeugt wir davon sind, dass Lützerath stehen bleiben wird.“

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