Das RP-Klimahaus Wie Bio in Deutschland kontrolliert wird

Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn · Wer mit Bio-Lebensmittel handeln möchte, muss sich von einer anerkannten Öko-Kontrollstelle zertifizieren lassen. Andreas Schomaker betreibt seit Jahrzehnten eine Biobäckerei am Niederrhein – und wird jedes Jahr überprüft. Wir erklären, wie kontrolliert wird, ob Bio auch wirklich bio ist.

 Bäcker- und Konditormeister Andreas Schomaker aus Neukirchen-Vluyn bezeichnet sich selbst als „Biobäcker aus Überzeugung“.

Bäcker- und Konditormeister Andreas Schomaker aus Neukirchen-Vluyn bezeichnet sich selbst als „Biobäcker aus Überzeugung“.

Foto: Marei Vittinghoff

Der Aktenordner auf dem Holztisch vor Andreas Schomaker ist prall gefüllt – allein mit den Unterlagen aus dem vergangenen Jahr: Inventurdaten, Lieferscheine, Rezepturen, Rechnungen – alles Blatt für Blatt abgeheftet. Schomaker sitzt im Cafébereich seiner Filiale im Gewerbepark Neukirchen-Vluyn und blättert sich durch. Zeigt nacheinander Zertifikate, Kontrollergebnisse, Unterschriften. Und sagt dann mit Blick auf den ganzen Papierkram: „Viele Bäckereien tun sich das hier gar nicht an. Weil ihnen der Aufwand einfach zu groß ist. Aber wir haben uns das so ausgesucht. Also müssen wir es auch so akzeptieren.“ Schomaker – beige Kappe, grünes Karohemd – ist nicht nur Chef einer Bäckerei; er ist Chef einer Bio-Bäckerei. Das bedeutet erstens: Er verwendet für seine Backwaren ausschließlich Produkte aus Betrieben des ökologischen Landbaus. Und zweitens: jede Menge Bürokratie.

Um die kommt Schomaker nicht herum: Wer wie er Bioläden mit seinen Produkten beliefern möchte, muss für jedes von ihnen das Bio-Siegel vorweisen können. Das Logo mit den zwölf weißen Sternen, die gemeinsam ein stilisiertes Blatt bilden, kennzeichnet als verpflichtendes EU-Gemeinschaftssiegel Lebensmittel, die nach der EU-Öko-Verordnung hergestellt wurden. Die innerhalb der gesamten EU geltende Verordnung ist so etwas wie das Grundgesetz der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft und legt fest, wie Bio-Lebensmittel produziert, kontrolliert, importiert und gekennzeichnet werden. Bio-Lebensmittel müssen demnach zum Beispiel zu mindestens 95 Prozent aus ökologisch erzeugten Zutaten hergestellt werden – nur maximal fünf Prozent der Zutaten (aufgeführt auf einer Liste in der Öko-Verordnung) dürfen aus konventioneller Erzeugung stammen. Gentechnik und ionisierende Bestrahlung sind tabu; der Einsatz von natürlichen Aromen ist eingeschränkt, von mehr als 300 bei der Herstellung konventioneller Lebensmittel zugelassenen Zusatz- und Hilfsstoffen sind nur rund 50 erlaubt. Nur wer alle Regeln befolgt, bekommt wie Schomaker das EU-Bio-Siegel. Auch das nationale sechseckige Bio-Siegel kann zusätzlich zur Kennzeichnung der Produkte verwendet werden.

Schomaker betreibt neben seiner Filiale in Neukirchen-Nord noch fünf weitere Geschäfte in Rheurdt, Moers, Krefeld, Neuss, Duisburg und Aachen; auch auf Wochenmärkten werden seine Backwaren verkauft. Alle Rohstoffe, die in eine seiner Filialen gelangen, müssen eindeutig als Bio-Produkte gekennzeichnet sein. Schomaker muss das alles genau aufzeichnen. Das ist Aufwand. Aber er sagt: „Konventionell kann ich nicht.“ Weder im Supermarkt bei seinen privaten Einkäufen noch in der Backstube. Wenn der Bäcker- und Konditormeister einmal anfängt, über industriell gefertigte Lebensmittel zu schimpfen, kann er kaum aufhören. Jeder Satz ein Zusatzstoff, jeder Zusatzstoff ein Kopfschütteln. „Bio“ ist Schomakers Thema. Seit fast vierzig Jahren schon. Dabei sei das Label, sagt er, als er 1986 die Bäckerei seiner Eltern in Rheurdt übernahm, eigentlich noch weitgehend unbekannt gewesen – zumindest in der Kleinstadt. In Berlin, wo Schomaker zuvor fünf Jahre in einer Biobäckerei gearbeitet hatte, sei das anders gewesen. Dort habe auch er das Konzept „Bio“ Ende der 70er Jahre das erste Mal so richtig kennengelernt. Und sich seitdem ein für alle Mal von Enzymen, Aromastoffen, Bioziden, konventionellen sowie chemischen Zutaten verabschiedet.

Für Schomaker bedeutet das: Zusätzlich zur normalen Überwachung kommt jedes Jahr eine Öko-Kontrolleurin oder ein Öko-Kontrolleur in seine Filialen, um zu untersuchen, ob er die Regeln der EU-Öko-Verordnung auch einhält. Dabei wird der gesamte Produktionsprozess unter die Lupe genommen – nicht nur das Endprodukt im Labor untersucht. Das europäische Bio-Recht überlässt es dabei jedem Land, ob staatliche Institutionen die Öko-Kontrollen übernehmen oder private Kontrollstellen beauftragt werden. In Deutschland wird die Kontrolle von privaten Prüfinstituten ausgeführt, die von staatlichen Behörden zugelassen und überwacht werden. „Das kann man sich ein bisschen so vorstellen wie beim TÜV für Autos“, sagt Thomas Damm. Er ist Vorstandsmitglied bei ABCERT – die Kontrollstelle, von der sich auch Schomaker auf die Einhaltung der EU-Öko-Verordnung prüfen lässt.

Mindestens einmal im Jahr durchläuft jeder Bio-Betrieb die Hauptkontrolle. Sie findet vor Ort statt und ist in der Regel angekündigt, damit der Kontrolleur oder die Kontrolleurin sofort Zugriff auf alle wichtigen Dokumente hat. Dabei kann – je nach Anmeldung bei der Prüfstelle – der ganze Betrieb oder nur die Herstellung eines bestimmten Produkttyps begutachtet werden. Wo ein größerer Bedarf oder ein größeres Risiko besteht, wird über die Hauptkontrolle hinaus häufiger und unangekündigt geprüft. „Ein Geflügelbetrieb kann zum Beispiel bis zu vier Mal im Jahr kontrolliert werden“, sagt Damm. Proben sind zusätzlich bei mindestens fünf Prozent der Betriebe vorgeschrieben. Die Prüfungen dauern unterschiedlich lang. Werden etwa nur Bio-Äpfel verkauft, ist manchmal schon nach einer Stunde Schluss. Ist mehr im Angebot, kann auch mal zehn bis zwölf Tage am Stück kontrolliert werden. Je komplexer und umfangreicher insgesamt die Kontrolle, desto höher fallen die Kosten für das Unternehmen aus. Die Kontrollstelle bewertet dann, ob ein Betrieb öko-konform arbeitet und stellt ein entsprechendes Zertifikat aus.

Bäcker Andreas Schomaker präsentiert eines seiner Bio-Brote in seiner Filiale in Neukirchen-Vluyn.

Bäcker Andreas Schomaker präsentiert eines seiner Bio-Brote in seiner Filiale in Neukirchen-Vluyn.

Foto: Marei Vittinghoff

Auch die Richtlinien von nationalen Anbauverbänden wie Bioland, Demeter oder Naturland können bei solchen Kontrollen überprüft werden, wenn zuvor ein Vertrag mit dem jeweiligen Verband geschlossen wurde. Die Regeln sind oft noch wesentlich strenger als die Vorschriften, die in der EU-Öko-Verordnung festgehalten werden. So beschränken die privaten Richtlinien der Verbände etwa die Menge zugelassener Zusatzstoffe in der Lebensmittelherstellung noch stärker, schreiben schärfere Regeln für die Tierhaltung vor oder verlangen für das Siegel die Umstellung des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes. Die Einhaltung dieser Richtlinien wird in der Regel bei der jährlichen Hauptkontrolle überprüft, die Ergebnisse durch die Prüfinstitute an die jeweiligen Anbauverbände übermittelt, die sich schließlich um die Ausstellung der Zertifikate kümmern. Weil umfangreicher geprüft wird, kosten die Prüfungen auch mehr Zeit – und Geld: Der zusätzliche Aufwand wird den Bio-Betrieben von den Kontrollstellen in Rechnung gestellt.

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Foto: dpa/Fabian Sommer

Einige Jahre lang war auch Schomaker Mitglied bei Bioland und Demeter. Mittlerweile lässt er seine Backwaren jedoch nur noch auf die Einhaltung der EU-Öko-Verordnung kontrollieren. Eingekauft wird bei ihm – sofern lieferbar – nach eigenen Angaben jedoch weiterhin nur Verbandsware. Alle Bauern, von denen er Getreide, Eier, Obst und Milch für seine Produkte bezieht, sind laut Schomaker entweder im Bioland, Naturland- oder Demeter-Verband und mit ihren Höfen am Niederrhein zuhause. Schomaker hat sich außerdem dazu entschlossen, in seiner Bäckerei und Konditorei ausschließlich Bio-Waren herzustellen und parallel keine konventionellen Backwaren zu produzieren, was den nach der EU-Öko-Verordnung arbeitenden Betrieben (unter Einhaltung von Vorschriften) sonst grundsätzlich erlaubt ist. Auch auf den Zukauf von Backwaren und Backmittel mit kommerziellen Enzymen wird verzichtet; das Bio-Getreide kurz vor der Zubereitung des Natursauerteigs in sieben eigenen Steinmühlen gemahlen. „Biobäcker aus Überzeugung“ – so nennt Schomaker sich selbst. Den prall gefüllten Aktenordner nimmt er dafür in Kauf.

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